Johannes Argiropoulos (25) aus Wädenswil ZH ist in der Klemme: Ein Mann hat ihn mit beiden Händen um den Hals gepackt. Argiropoulos dreht sich leicht ab, schlägt dem Angreifer zuerst unters Kinn, dann auf den Arm und wirft ihn flach auf die Matte. Argiropoulos macht Jiu Jitsu. Die Schläge waren nur angedeutet und beide Männer stehen einander im Nu wieder gegenüber. Der Wädenswiler macht seit 17 Jahren Jiu Jitsu. «Ich bin über den Ferienpass auf die Sportart gekommen und geblieben, aus Freude an der Bewegung und an der Kameradschaft.»
Selbstverteidigungskurse haben zurzeit viel Zulauf. Doch nicht alle Techniken sind ideal. Zu diesem Schluss kommt der Berner Kampfsportexperte Erik Golowin. Er hat für die Leserinnen und Leser des Gesundheitstipp verschiedene Techniken verglichen und beurteilt, was sie bei einem Angriff taugen.
Resultat: Am besten schnitt Jiu Jitsu ab. Die japanische Kampfkunst ist ausschliesslich auf Selbstverteidigung ausgerichtet. Im Training lernt man, wie man sich befreit, den Gegner abwehrt oder ihn festhält. Erik Golowin: «Auch die Polizei verwendet diese Techniken.»
Jiu-Jitsu-Trainer Rudi Kaufmann aus Wädenswil sagt: «Im Gegensatz zu anderen Kampfkünsten sind auch ungewöhnliche Befreiungen erlaubt, etwa durch Beissen und Kratzen.» Ziel ist es aber, den Gegner nicht zu verletzen, sondern nur abzuwehren und allenfalls zu blockieren. Um sich gegen einen ebenbürtigen Gegner verteidigen zu können, braucht man allerdings mindestens zwei Jahre Training.
Ebenfalls sehr gut abgeschnitten im Vergleich hat der israelische Kampfsport Krav Maga. Die Kursanbieter versprechen, dass man die Technik viel schneller lernen könne als etwa Jiu Jitsu. Wer pro Woche zweimal trainiere, kenne nach drei Monaten die wichtigsten Techniken, sagt der Zürcher Krav-Maga- Lehrer Nenad Stojkovic: «Nach einem halben Jahr kann man sich gegen einen ungeübten, gleich schweren Angreifer wehren.»
Krav Maga: Für Ältere wenig geeignet
Anders als bei den Kampfsportarten lernen die Schüler keine inszenierten Bewegungsabläufe, sondern trainieren direkt ihre Reaktion auf gestellte Angriffssituationen. Eine Bewegung soll in verschiedenen Situationen anwendbar sein. Allerdings eignet sich Krav Maga für ältere Personen eher weniger gut. Denn im Training gehts hart zur Sache – mit Schlagen, Werfen und Festhalten. Wer nicht schon früher eine Kampfsportart trainiert hat, dürfte schnell überfordert sein.
Gleiches gilt für die russische Selbstverteidigungstechnik Systema. Die Kursteilnehmer lernen, den Körper gezielt einzusetzen, um Angreifer abzuwehren – zum Beispiel, wenn einen jemand am Handgelenk packt, wie man richtig fällt oder wie man sich mit Alltagsgegenständen wehrt.
Beweglichkeit, Koordination und Atmung sind wichtig – alles Dinge, die man nicht in ein paar Kurstagen lernt. Ausserdem ist das Training sehr körperbetont. Es werfen sich schon mal mehrere Personen auf einen drauf – das dürfte im Alltag selten passieren und auch nicht jedermanns Sache sein.
Ebenfalls gut geeignet als Mittel zur Selbstverteidigung ist die chinesische Technik Wing Chun. Man lernt zuerst, gefährlichen Situationen auszuweichen. Wenn das nicht gelingt, wehrt man sich mit schnellen Schlägen, Hebeln und Kicks. Es geht darum, die Reaktion des Gegners vorauszusehen, ihn elegant ins Leere laufen zu lassen und dann zu blockieren. Bis man das Gelernte abrufen könne, seien mindestens drei Jahre Training nötig, sagt Mike Felder, Wing-Chun-Lehrer aus Zürich.
Etwas weniger wirkungsvoll für die Selbstverteidigung sind Judo, Karate, Taekwondo und Aikido. Fachmann Erik Golowin sagt allerdings, dass auch diese Sportarten Elemente enthalten, die für die Selbstverteidigung hilfreich sind. «Wer Judo macht, ist Körperkontakt gewohnt und bricht nicht gleich in Panik aus, wenn ihn jemand am Kragen packt», sagt er. Karate habe den Vorteil, dass man die Schläge bei einem Angriff gut einsetzen könne. Auch gebe es einige effiziente Handgriffe, um sich aus Umklammerungen zu befreien. Und das koreanische Taekwondo lehre jeden Teilnehmer einige effiziente Tritttechniken, mit denen man Angreifer auf Distanz halten könne, so Golowin.
Am wenigsten zur Selbstverteidigung geeignet ist Aikido. «Bis man sich gegen einen Gegner wehren kann, dauert es fünf bis zehn Jahre», sagt Golowin. Das Ziel ist, sich selbst mit dem Training zu stärken.
Unabhängig von den Techniken können Kampfsportarten bewirken, dass man bei einem Angriff schneller und richtig reagiert. Taekwondo-Lehrer Pascal Polatti aus Zürich-Oerlikon sagt: «Man ist koordinierter, konzentrierter, hat geschärfte Sinne und verbessert Fitness sowie Schnelligkeit.»
Für heikle Situationen sensibilisiert
Das sagen auch die Lehrer der Selbstverteidigungs-Techniken. Die Schüler werden im Training für Gefahrensituationen sensibilisiert, sodass es im besten Fall gar nicht zu einem Angriff kommt.
Sportpsychologe Daniel Birrer vom Bundesamt für Sport bestätigt: «Wenn jemand überzeugend auftritt, ist es viel weniger wahrscheinlich, dass ihn jemand angreift.» Darauf setzen auch viele Selbstverteidigungskurse für Frauen: Sicher auftreten, dem Angreifer in die Augen schauen und sich mit lauter Stimme wehren stehen an erster Stelle.
Tipps: Erst mal schnuppern
- Selbstverteidigungskurse eignen sich, wenn Sie rasch effektive Techniken lernen wollen.
- Kampfsport ist ideal, wenn Sie über längere Zeit trainieren und sich auch für die Philosophie der Kampfkünste interessieren.
- Besuchen Sie eine Schnupperlektion.
- Erkundigen Sie sich, ob die Schule einem Verband angeschlossen ist.
- Schauen Sie, ob beim Training immer ein Trainer anwesend ist.
- Achten Sie während der Schnupperlektion darauf, ob es im Training zu gefährlichen, unkontrollierten Zweikämpfen kommt.