Es gibt immer weniger Leute, die im Alter ins Heim wollen. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik. Der Gerontologe Heinz Rüegger aus Zollikerberg ZH hält Altersheime gar für ein Auslaufmodell: «In der heutigen Form werden sie verschwinden.» Was die meisten Senioren wollen: möglichst lange in den gewohnten vier Wänden bleiben. Spitexorganisationen unterstützen immer mehr Leute zu Hause bei der Pflege oder im Haushalt.
Im vergangenen Jahr liessen sich knapp 460'000 Personen in der Schweiz auf diese Weise unterstützen – eine Zunahme um 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das zeigt: Man geht heute viel später ins Alters- oder Pflegeheim als früher – oder gar nie. Das gilt etwa für den 80-jährigen Hermann Witzig aus Zürich: Nach zwei Rückenoperationen hat er Probleme beim Gehen.
Er wohnt allein, die Spitex putzt und macht die Wäsche. Eine Kollegin kocht für ihn Mahlzeiten vor, und einer Bekannten zahlt er Geld, damit sie für ihn den Wocheneinkauf erledigt. Er sagt: «Mir ist es wichtig, dass ich hier alt werden kann».
Selbständig wohnen im Alter will vorbereitet sein
Für den Gerontologen Heinz Rüegger steht fest, dass diese Art, im Alter zu wohnen, weiter zunimmt: «Man holt sich nach Bedarf die Pflege, eine Putzkraft oder den Coiffeur nach Hause.» Wer wie Hermann Witzig allein wohnen will, sollte sich laut Rüegger frühzeitig darüber Gedanken machen, «am besten im Alter zwischen 50 und 60 Jahren». Macht man das erst, wenn man Pflege benötigt oder verunfallt, ist es oft zu spät: «Dann bleibt kurzfristig meist nur noch das Heim», so Rüegger.
Wohnung sollte rollstuhlgängig sein
Wichtig: Eine Wohnung oder ein Haus für einen alleinstehenden Senior darf keine Hindernisse aufweisen – auch für den Fall, dass man später mal krank oder gehbehindert ist. Heinz Rüegger sagt: «Treppen oder Schwellen muss man mit dem Rollator oder einem Rollstuhl bewältigen können.» Es sei meistens machbar, nachträglich eine Dusche oder einen Treppenlift zu montieren. «Doch einen Lift in ein bestehendes Miethaus einzubauen, ist oft schwierig.» Im Alter allein zu wohnen, ist allerdings nicht jedermanns Sache.
Gemäss Bundesamt für Statistik fühlt sich jede dritte Person über 65 Jahre einsam. Altersforscher François Höpflinger aus Horgen ZH sagt: «Mit der Einsamkeit kommen häufig die Probleme.» Viele Betroffene leiden an Bluthochdruck, werden depressiv oder ernähren sich nicht gut. Höpflinger: «Gegen Einsamkeit helfen Beziehungen zu Nachbarn, Freunden und Familie. Wer sozial gut eingebettet ist, fühlt sich weniger einsam.»
Von der Alterswohnung bis zur Wohngemeinschaft
Altersexperte Heinz Rüegger empfiehlt Senioren, verschiedene Wohnformen zu prüfen: «Man sollte sich nicht auf die bisherige Wohnung fixieren.» Die Vielfalt an Wohnformen ist gross: Sie reicht von Alterswohnungen mit und ohne Betreuung über Alterswohngemeinschaften bis zum Wohnen mit jüngeren Generationen (siehe Tabelle). «Welche Form geeignet ist, hängt von den eigenen Bedürfnissen und den finanziellen Möglichkeiten ab», sagt Heinz Rüegger. Alterswohnungen haben den Vorteil, dass sie hindernisfrei und meist gut ausgeleuchtet sind.
Oft sind sie auch mit Haltegriffen und rutschfestem Boden im Badezimmer ausgestattet. Zudem liegen sie meist nahe bei Einkaufsmöglichkeiten und Haltestellen des öffentlichen Verkehrs. Das Problem: Alterswohnungen sind schwierig zu finden, da es zu wenige gibt. Für Leute, die gern Gesellschaft haben und tolerant sind, kommt eine Wohngemeinschaft infrage. Diese Form haben Regula Willi und Helmut Zohren gewählt: Sie leben seit 24 Jahren mit acht Senioren in einem grossen Haus in Bern.
In der WG Stürlerhaus haben alle Parteien Einzelwohnungen, die Gemeinschaftsräume und den grossen Garten benutzen sie gemeinsam. Der 85-jährige Helmut Zohren sagt: «Ohne Toleranz und Kompromisse geht es nicht. Im Gegenzug hilft und unterstützt man sich gegenseitig.» Weiterer Vorteil einer Alters-WG: Miet- und Nebenkosten sind tiefer, als wenn man allein in einer Wohnung lebt. Alterswohngemeinschaften sind bislang wenig verbreitet: Gemäss einer Studie der Raiffeisenbank leben in der Schweiz nur 1 Prozent der über 65- Jährigen in einer WG.
Immer beliebter wird das Wohnen mit jüngeren Generationen. Die 95-jährige Gret Mayer aus Illnau ZH zum Beispiel teilt seit vergangenem Sommer ihre Wohnung mit der 19-jährigen Studentin Stefanie Wild aus Urnäsch AR. Beim Pro-Senectute-Projekt «Wohnen für Hilfe» im Kanton Zürich stellen ältere Leute Studentinnen und Studenten kostenlos ein Zimmer zur Verfügung. Im Gegenzug erledigen diese Einkäufe, helfen im Haushalt mit oder leisten Gesellschaft. Gret Mayer sagt: «In den Gesprächen mit Stefanie erfahre ich, was jüngere Menschen beschäftigt.»
Ausserdem habe sie so eine Aufgabe: «Ich koche unter der Woche das Abendessen, und Stefanie übernimmt den Abwasch.» Laut Altersforscher François Höpflinger profitieren Ältere davon, mit jüngeren Generationen im Austausch zu sein: «Dadurch bleibt man offen und neugierig.»
Pflegebedürftige Hochbetagte müssen meist ins Heim
Zahlen zeigen: Spätestens ab einem Alter von 95 Jahren nehmen die Beschwerden so stark zu, dass die meisten Senioren in ein Alters- oder Pflegeheim wechseln, um zu sterben. Laut Bundesamt für Statistik verbrachte ab diesem Alter jede zweite Person weniger als ein Jahr im Heim. «Den richtigen Zeitpunkt für den Übertritt ins Heim zu finden, ist nicht immer einfach», sagt Experte François Höpflinger. Diese Erfahrung machte auch die AltersWG von Regula Willi und Helmut Zohren. 2007 erkrankte Willis Ehemann an Parkinson.
Über zehn Jahre habe man die Betreuung in der Wohngemeinschaft «mehr oder weniger» mitgetragen, sagt Regula Willi. «Irgendwann ging es aber nicht mehr.» Seit 2021 wohnt ihr Ehemann nun in einem Pflegeheim in der Nähe. François Höpflinger sagt: «Meist geht das Wohnen in den eigenen vier Wänden nicht mehr, wenn Betroffene desorientiert sind, nicht mehr selbständig essen können oder an Inkontinenz leiden. Dann sind sie in einem Pflegeheim besser aufgehoben. Spitex-Dienstleistungen reichen dann nicht mehr aus.»
Info und Beratung zum Wohnen im Alter:
Pro Senectute, Prosenectute.ch, Tel. 058 591 15 15
Wohnt allein: Hermann Witzig (80)
«Ich lebe seit 24 Jahren in meiner Viereinhalbzimmerwohnung in Zürich West. Bereits beim Einzug war es mir wichtig, dass ich hier alt werden kann. Im Haus hat es einen Lift, und kürzlich liess ich mir für die letzten Stufen bis zur Haustür einen Treppenlift ans Geländer montieren. Sollte ich die Wohnung nicht mehr verlassen können, habe ich immer noch meine Terrasse. Dort sehe ich direkt auf die Limmat. Obwohl ich allein wohne, bin ich nicht einsam. Geschwister, Freunde und mein Göttibub besuchen mich oft. Solange ich malen, meditieren, musizieren, lesen und Freunde treffen kann, bin ich ein ganzer Mensch.»
Wohnen in einer Alters-WG: Regula Willi (81) und Helmut Zohren (85)
Helmut Zohren: «Mit acht anderen Parteien kauften wir vor 24 Jahren ein Patrizierhaus an der Aare in Bern, bauten es um und gründeten eine AltersWG. Die Parteien leben in sieben Einzelwohnungen, drei davon sind rollstuhlgängig. Wir sind eine Genossenschaft. So bestimmen wir mit, wer bei einem Wechsel neu einzieht.» Regula Willi: «Richtig gut kannten wir uns damals nicht. Probehalber wohnten wir auch ein paar Wochen auf einem Hof im Piemont. Gemeinsam feiern wir Geburtstage, Sommerfeste oder organisieren Kinoabende. Trotzdem haben alle Parteien ihr eigenes Leben mit Familie, Freunden und Bekannten.»
Wohnt mit einer Studentin zusammen: Gret Mayer (95)
«Seit bald einem Jahr wohne ich mit der 19-jährigen Tiermedizinstudentin Stefanie Wild zusammen. Sie bezahlt mir als Vermieterin kein Geld, sondern hilft im Haushalt oder leistet mir Gesellschaft. Tagsüber ist Stefanie an der Uni. Am Abend essen wir gemeinsam Znacht. Manchmal spielen wir zusammen, machen einen Spaziergang, oder sie zeigt mir etwas am Computer. Vom Pro-Senectute-Projekt ‹Wohnen mit Hilfe› hörte ich, als mein Mann vor zehn Jahren starb. Seither wohnten drei Studenten bei mir. Jedes Mal klappte es gut. Wichtig ist, dass man zuverlässig ist und offen miteinander redet, wenn einem etwas nicht passt. Dann kommt es gut.»