Sandro Baumgartner, 33
Sandro Baumgartner, mögen Sie ‹Indiana Jones›?
Ich habe die Filme nicht gesehen. Warum?
Sie kriechen durch enge Kanäle und wissen nie, was Sie hinter der nächsten Biegung erwartet – das hört sich verwegen an.
Was ich mache, hat wenig mit Abenteuer zu tun. Aber die Enge macht mir manchmal zu schaffen.
Warum?
Es ist feucht und glitschig, ich kann mich kaum drehen und habe keine Möglichkeit, Werkzeuge an einem sauberen Ort zu platzieren.
In Kanälen können sich Erstickungsgase ansammeln. Macht Ihnen das Angst?
Nein, Angst habe ich nicht. Aber ich passe auf. Ich habe immer ein Messgerät dabei. Es zeigt an, ob genügend Sauerstoff vorhanden ist und ob Gase da sind. Dann piepst das Gerät. Ausserdem rieche ich Gase: Schwefelwasserstoff zum Beispiel riecht nach faulen Eiern.
Was tun Sie, wenn Sie merken, dass giftiges Gas im Kanal ist?
Dann muss ich zügig raus aus dem Stollen. Wir lassen alle Werkzeuge liegen und laufen los. Wenn man die Gase einatmet, kann man schon nach wenigen Sekunden das Bewusstsein verlieren. Deshalb haben wir immer ein Sauerstoffgerät dabei. Der Sauerstoff reicht für 25 Minuten, sodass man die Gefahrenzone sicher verlassen kann. Zum Glück habe ich es noch nie gebraucht.
Sind Sie oft krank?
Es kommt ab und zu vor, dass ich da unten eine Magen-Darm Grippe auflese – das gehört halt dazu. Ich habe auch regelmässig Bläschen auf der Haut, wenn mir in der Kanalisation dreckiges Wasser ins Gesicht spritzt. Aber die gehen nach ein paar Tagen wieder weg.
Schützen Sie sich nicht?
Doch – mit Stiefeln, Handschuhen, Mundschutz, Helm und Klettergurt. Ich bin vorsichtig, wenn ich einen Kanal reinige. Wir haben auch schon gebrauchte Spritzen in den Dreckhaufen im Kanalrohr gefunden. Darum prüfe ich immer zuerst mit einem Stiefel, was im Haufen drin ist. Nach der Arbeit dusche ich, desinfiziere Hände und Füsse. Wir dürfen keine Arbeitskleider nach Hause nehmen wegen des Infektionsrisikos. Ausserdem bin ich gegen Hepatitis und Starrkrampf geimpft. Impfungen können wir gratis machen lassen.
Arbeiten Sie auch im Kanal, wenn Sie offene Wunden haben?
Ja. Ich decke die Wunde einfach gut ab. Als ich mich einmal an der Hand verletzt hatte, trug ich zwei oder drei Paar Handschuhe.
Wie werden Sie den Gestank und die Keime wieder los?
Ich reinige meine Schutzausrüstung täglich mit Spezialmittel und wechsle die Kleider. Eine spezialisierte Wäscherei wäscht und entkeimt die Berufskleider zweimal pro Woche. Trotz des Duschens setzt sich der Geruch manchmal so sehr in der Nase fest, dass ich ihn noch Stunden später rieche.
Zur Person
Sandro Baumgartner
Der 33-Jährige lernte Strassenbauer. Seit fünf Jahren ist er Kanalarbeiter bei der Stadt Bern, nun als Gruppenleiter. Er inspiziert, reinigt und repariert Kanäle. An Spitzentagen ist Baumgartner bis zu 6 Stunden mit seinen Kollegen in der Kanalisation.