Schon bald nach der Geburt litt die kleine Natali unter starkem Aufstossen. «Einmal mussten wir auf dem Pannenstreifen der Autobahn anhalten, weil meine Tochter erbrochen hatte», erinnert sich ihre Mutter Sandra Fischli. «Das war sehr unangenehm.» Im Alter von zwei Monaten hatte das Baby wegen des Aufstossens sogar einen Erstickungsanfall. Fischli musste die Ambulanz rufen. Ein Kinderarzt verschrieb daraufhin Antramups. Es gehört zu den Säureblockern. Diese Medikamente bremsen die Produktion der Magensäure. Ähnlich wirken Pantozol, Nexium oder Agopton.
«Säureblocker nur bei Reflux-Krankheit nötig»
Es ist normal, dass sich Babys und Kleinkinder übergeben. Meistens hört das im Alter von 12 bis 18 Monaten von alleine auf. Johannes Spalinger, Spezialist für Magen- und Darmkrankheiten am Luzerner Kinderspital, sagt: «Säureblocker sind nur bei Säuglingen und Kleinkindern nötig, die an einer Reflux-Krankheit leiden.» Wenn Kinder Schmerzen haben, die Nahrung verweigern oder nicht zunehmen, seien das mögliche Warnzeichen dieser Krankheit.
Doch viele Ärzte verschreiben auch in leichten Fällen Säureblocker. Vor zwei Jahren zeigte eine Studie in elf europäischen Ländern: Vier von fünf Kinderärzten verordnen diese Medikamente, auch wenn das nicht nötig wäre.
Zudem: Bei vielen Kindern nützen die Medikamente wenig. Dies beweist eine 2009 veröffentlichte Studie mit über 200 amerikanischen Kindern. Die Forscher hatten festgestellt, dass Säurehemmer die Beschwerden nicht besser linderten als ein Scheinmedikament.
Die starken Mittel können schwere Nebenwirkungen auslösen: Kinder, die Säureblocker bekommen, leiden gemäss Studien vermehrt an Infektionen mit gefährlichen Darmbakterien und an Lungenentzündungen. Auch bestehe die Gefahr, dass die Säurehemmer das Knochenwachstum stören, schreibt Oliver Reinberg, Kinderarzt am Lausanner Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, im Fachblatt «Paediatrica».
Tipp: Säuglingsnahrung eindicken
Für Séverine Bonini sind Medikamente kein Thema – obwohl ihr Sohn schon wenige Wochen nach der Geburt die Milch aus dem Schoppen stossweise von sich gab: «Der Kinderarzt sagte, solange mein Sohn zunehme, sei das kein Problem.» Allerdings erlebte die Mutter eine schwierige Zeit. «Immer wenn ich den Kleinen aufhob, hatte ich Angst, dass er spuckt», erinnert sie sich. «Machten wir einen Ausflug, musste ich immer ein paar Garnituren frische Wäsche mitnehmen, weil er alle Kleider vollspuckte – auch meine. Das war mühsam.» Das Spucken hörte erst auf, nachdem Bonini auf Anraten von Bekannten einen Osteopathen aufgesucht hatte. «Nach zwei Sitzungen war alles wieder in Ordnung», sagt sie. Und: «Das hat unsere Lebensqualität sehr verbessert.»
Bei den meisten Kindern, die Mühe haben, das Essen zu behalten, genügen sanfte Massnahmen. Der Luzerner Spezialist Johannes Spalinger empfiehlt Eltern, ihren Kindern häufiger Mahlzeiten zu geben, aber kleinere. Nach dem Stillen sollte man das Baby nicht sofort wieder hinlegen und zudem auf eine ruhige und rauchfreie Umgebung achten. Manchmal helfe es auch, die Säuglingsnahrung im Schoppen einzudicken. Spalinger rät jedoch davon ab, Kinder auf den Bauch zu legen: Damit steige das Risiko des plötzlichen Kindstods.
Sandra Fischli braucht heute kein Antramups mehr für ihre Tochter. Vor einem Jahr zeigte eine Magenspiegelung, dass es keinen Grund mehr gibt, das Mittel weiter zu verabreichen. Nur für einen allfälligen Rückfall bewahrt Natalis Mutter noch eine Packung auf.
Takeda, Herstellerin von Pantozol, Agopton und anderen Säureblockern, schreibt in einer Stellungnahme, die Wirksamkeit und die Verträglichkeit seien im Rahmen von klinischen Studien bei Kindern und Jugendlichen nachgewiesen worden.
Die Firma Astra Zeneca, die Antramups und Nexium herstellt, schreibt, es liege an den behandelnden Ärzten, im Einzelfall den Nutzen und das Risiko der Medikamente abzuwägen.