Denise Dollinger, Sie hatten einen Tauchunfall auf den Malediven. Wie kam es dazu?
Es war ein normaler Tauchgang von einer Stunde. Meine Freundin und ich gingen nur etwa 20 Meter tief. Doch zurück an Land, drehte sich alles um mich. Ich musste mich hinlegen, konnte über zehn Stunden die Augen nicht mehr öffnen.
Wie reagierte Ihre Freundin?
Sie holte einen Tauchlehrer. Er stellte Fragen, um abzuklären, ob ich die Taucherkrankheit habe – also zu viel Stickstoff im Blut. Obwohl es klare Anzeichen für die Krankheit gab, fand er es unnötig, mir Sauerstoff zu verabreichen.
Was passierte dann?
Fremde Taucher trugen mich ins Bett. Aber am nächsten Morgen drehte sich immer noch alles rasend schnell. Da machte meine Freundin bei der Tauchschule Dampf. Sie kontaktierte Ärzte, die mich sofort in die Sauerstoffkammer schickten.
Sie hatten also die Taucherkrankheit?
Ja. Aber ich war nicht zu tief gegangen oder zu schnell aufgetaucht – ich bin eine sorgfältige Taucherin. Die Ärzte stellten fest, dass meine Herzvorhöfe nicht richtig verwachsen sind. Womöglich hat es durch den Druckausgleich ein Loch in der Herzscheidewand gegeben. Durch diese Öffnung gelangte Stickstoff in die Arterien und wanderte ins Innenohr. Dabei erhielt es zu wenig Sauerstoff. Deshalb verlor ich mein rechtes Gleichgewichtsorgan.
Haben Sie einen Groll auf den Tauchlehrer?
Ganz verzeihen kann ich ihm nicht. Hätte er mich sofort mit Sauerstoff versorgt, hätte sich mein Innenohr vielleicht wieder erholt. Doch nun arbeitet mein linkes Gleichgewichtsorgan für zwei. Und mein Hirn muss lernen, dass es nur von links Impulse kriegt.
Können Sie arbeiten?
Ja, aber nur 25 Prozent. Der Alltag ist anstrengend. Ich muss viele Pausen einlegen und mich ausruhen.
Deprimiert Sie das?
Nein. Da ich Fortschritte mache, kann ich damit umgehen. Nach meinem Unfall kriegte ich gar nichts hin. Es war schon eine Leistung, von meiner Wohnung bis ins Büro zu kommen. Ich hatte die Namen vieler Kollegen vergessen, konnte mich kaum konzentrieren. Jetzt kann ich sogar Texte schreiben.
Waren Sie stets so optimistisch?
Ich bin ein lebensfroher Mensch. Etwa vier Monate nach dem Unfall hatte ich aber eine Krise. Damals konnte ich kaum meine Wohnung verlassen. Die Haare zu waschen, war eine Tagesaufgabe. Da dachte ich: So will ich nicht leben.
Wie kam die Lebensfreude zurück?
Durch die Hilfe meiner Freunde und durch die Hoffnung, dass mein Hirn sich der neuen Situation anpasst. Ich zwang mich jeden Tag zu einem Spaziergang. Dabei lernte ich einen alten Mann mit Rollator kennen, wir hatten beide dasselbe Tempo. Wenn ich ihn heute sehe, muss ich weinen. Er führt mir wieder vor Augen, wie schlecht es mir ging.
Heute fahren Sie sogar Velo!
Ja, das war ein Meilenstein. Mittlerweile dreht sich die Welt vor meinen Augen drei Mal langsamer. Irgendwann geht der «Drümmel» ganz weg.
Zur Person: Denise Dollinger
Die 39-Jährige lebt in Basel. Im Winter flieht sie gern in wärmere Gefilde, zwölf Jahre lang ging sie tauchen – bis sie im Herbst 2012 auf den Malediven einen Unfall hatte.