Operationen: Künftig nur noch im Spital möglich
Eine Operation in der Arztpraxis ist für Patienten günstiger und angenehmer als im Spital. Doch diesem Angebot droht das Aus. Grund: Fragwürdige Bedingungen im Arzttarif Tarmed.
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Gesundheitstipp 9/2004
15.09.2004
Sonja Marti - smarti@pulstipp.ch
Der 74-jährige Fritz Keller aus Winterthur ist glücklich: Heute gehts in den Bergen wieder über Stock und Stein - ohne quälende Schmerzen im Knie. Vor drei Monaten operierte der Winterthurer Kniespezialist Luzi Dubs den kaputten Meniskus des Rentners.
Keller: «Es war mir sehr wichtig, dass ich den Eingriff bei meinem Vertrauensarzt in der Praxis machen konnte.» Alles sei reibungslos gelaufen. Zudem - so erfuhr Keller später - wäre die Operation im Spital rund fünfmal teur...
Der 74-jährige Fritz Keller aus Winterthur ist glücklich: Heute gehts in den Bergen wieder über Stock und Stein - ohne quälende Schmerzen im Knie. Vor drei Monaten operierte der Winterthurer Kniespezialist Luzi Dubs den kaputten Meniskus des Rentners.
Keller: «Es war mir sehr wichtig, dass ich den Eingriff bei meinem Vertrauensarzt in der Praxis machen konnte.» Alles sei reibungslos gelaufen. Zudem - so erfuhr Keller später - wäre die Operation im Spital rund fünfmal teurer gewesen. Zwar nicht für ihn, aber für die Zusatzversicherung seiner Krankenkasse.
Auch Edwin Schubiger hat die ambulante Operation überzeugt. Bereits vor drei Jahren musste er einen Meniskus operieren lassen. Damals war er rund drei Tage im Spital und hatte danach noch lange Schmerzen. Anfang 2004 passierte es dann wieder - diesmal im anderen Knie. Der 74-Jährige erinnert sich: «Ich kam eben vom Einkaufen heim und stieg mit zwei schweren Taschen beladen die Treppe hoch.» Ein falscher Tritt - und es knallte im Knie. Schubiger entschied sich dieses Mal für eine ambulante Operation in der Arztpraxis. «Alles verlief gut, und nach dem Eingriff hatte ich keinerlei Probleme.»
Viele Operationen lassen sich heute problemlos ambulant machen. Studien haben gezeigt: Dadurch liesse sich viel Geld sparen. Und die Operationen sind genauso erfolgreich und sicher wie die stationäre Behandlung im Spital. Für Patienten wie Fritz Keller ist klar: «Ich würde mich wieder ambulant operieren lassen.»
«Völlig willkürliche Bedingung für OP-Saal»
Doch damit könnte bald Schluss sein. Denn für viele Ärzte lohnt es sich nicht mehr, in der eigenen Praxis zu operieren. Der Grund: der neue Arzttarif Tarmed. Dieser schreibt vor, dass ein Operationssaal mindestens 30 Quadratmeter messen soll. Ist er minim kleiner, kann der Arzt nur noch rund die Hälfte seiner Kosten für Personal und Infrastruktur verrechnen.
Dies stösst bei den operierenden Ärzten auf harsche Kritik. «Diese Bedingung ist völlig willkürlich», ärgert sich Jürg Diener, Gynäkologe und Präsident der Interessengemeinschaft Praxisoperationssaal. «Was zählt, ist nicht die Grösse des Raums, sondern seine Ausrüstung und die Erfahrung des Operationsteams.»
Luzi Dubs, operierender Kniespezialist aus Winterthur, doppelt nach: «Es gibt keinen medizinischen Grund für diese absurde Bedingung.» In vielen Spitälern werde auch in Räumen operiert, die kleiner als 30 Quadratmeter sind. Bloss: Dort bezahlt die Krankenkasse anstandslos. Denn die Spitäler rechnen für stationäre Eingriffe nach einem anderen Tarif ab.
Für Dubs gibt es nur eine Erklärung: «Das war ein politischer Entscheid.» Die Spitäler hätten ihre Macht ausgespielt und ihre Interessen durchgesetzt. Sie bekämen so mehr Patienten und verdienten damit viel Geld. Geld, das nicht nur die Krankenkassen stärker belastet, sondern letztlich auch die Steuerzahler. Denn: Die Hälfte der Spitalkosten bezahlen die Kantone. Luzi Dubs: «Die ambulante Operation in der Praxis ist eine kostengünstige Alternative. Doch sie wird jetzt praktisch verunmöglicht.»
Martin Buser vom Spitalverband H+ wehrt sich gegen diese Vorwürfe: «H+ ist dafür nicht der richtige Ansprechpartner, da der Entscheid von allen Tarmed-Verhandlungspartnern gemeinsam gefällt worden ist.» Zudem sei der Entscheid nicht politisch, sondern habe einen medizinischen Grund. In kleineren Praxisoperationssälen würden nur Patienten mit einem geringen Risiko behandelt. Dafür brauche es weniger Infrastruktur und Personal. Deshalb sei dann der technische Aufwand mit dem reduzierten Tarif genügend gedeckt.
Schützenhilfe vom Verband der Krankenkassen
Zudem: Es gebe zwar kleinere Räume in den Spitälern, doch seien das keine Operationssäle, sondern «Untersuchungs- und Behandlungsräume», in denen kleinere Eingriffe durchgeführt würden. Buser: «Diese Eingriffe werden genau gleich abgegolten wie in der Arztpraxis.»
Die Praxisärzte bekommen jetzt allerdings Unterstützung vom Krankenkassenverband Santésuisse. Peter Marbet: «Wir setzen uns mit Nachdruck für die im allgemeinen kostengünstigere ambulante Operation ein.» Diese entspreche der Bedingung für alle Leistungen der Grundversicherung: Sie müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein.
Das ist im Sinn der Prämienzahler und jener Patienten, die sich beim Arzt ihres Vertrauens in der Praxis operieren lassen wollen.
Was Patienten abklären und wissen müssen
Viele planbare und unkomplizierte Operationen lassen sich problemlos ambulant durchführen - zum Beispiel:
- Grauer Star
- Gaumen- und Rachenmandeln
- Warzen, Muttermale und Hauttumoren
- Karpal-Tunnel-Syndrom
- Meniskus-Arthroskopie
- Hammerzehen, Hallux
- Gebärmutterspiegelung mit Ausschabung
- Offene Leistenbruch-Operation
- Beschneidung
- Blasenspiegelung und Blasenkatheter
- Viele plastisch-kosmetische Operationen
- Biopsien
Operation nötig: Was tun?
- Fragen Sie den Arzt, ob der Eingriff ambulant möglich ist
- Klären Sie ab, weshalb die stationäre Operation nötig ist Ungeeignet ist eine ambulante Operation für
- Patienten mit schweren Herzkrankheiten
- Epileptiker
- Schwer einzustellende Diabetiker
- Patienten, bei denen die Kooperation unsicher ist, zum Beispiel bei Alzheimer oder schweren Depressionen
- Patienten, die niemanden haben, der sie zu Hause nachbetreut