Organspenden sind umstritten: Meist entnehmen Chirurgen die Organe von Hirntoten (Gesundheitstipp 5/2022). Nieren und Teile der Leber kann man aber auch zu Lebzeiten herausschneiden lassen. Laut Bundesamt für Gesundheit machen das in der Schweiz rund 100 Personen pro Jahr, zwei Drittel von ihnen sind Frauen. Davon profitieren vorab Ehemänner und enge Verwandte.

Bislang durften sich psychisch kranke Patienten keine Organe entnehmen lassen. Doch gemäss einer neuen Richtlinie der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften kommen dafür künftig auch seelisch Kranke infrage – selbst bei einer schweren Störung wie akuter Psychose, schweren Depressionen oder Drogensucht.

Die Pläne stossen bei Fachleuten auf Kritik. Die Zürcher Ethikerin und Theologin Ruth Baumann-Hölzle: «Während akuter Phasen einer psychischen Krankheit sollten Ärzte keine Organe entnehmen.» In Krisensituationen seien Menschen kaum urteilsfähig und könnten die Tragweite ihrer Entscheide nur schwer abschätzen.

Zudem sei fraglich, ob psychisch Schwerkranke Organe tatsächlich freiwillig spenden würden, so Baumann-Hölzle. Studien bestätigen diese Zweifel. So wiesen japanische Forscher darauf hin, dass sich psychisch Kranke ihrer Familie oft für deren lebenslange Unterstützung verpflichtet fühlen. «Sie haben möglicherweise ein schlechtes Gewissen, wenn sie die Spende ablehnen», schreiben die Autoren.

Hinzu kommt: Eine Organentnahme kann die Lebensqualität des Spenders verschlechtern. Wer eine Niere spendet, hat ein um 20 Prozent erhöhtes Risiko für Bluthochdruck, dauerhafte Müdigkeit und eine ­eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Ralf Zietz von der deutschen Interessengemeinschaft Nierenlebend­spende sagt: «Die Nieren­spende sollte nur Leuten erlaubt sein, die körperlich und seelisch kerngesund sind.»

Die Akademie schreibt, psychisch Kranke sollten an «allen gesellschaftlichen Prozessen» teilnehmen können. Die Urteilsfähigkeit werde sorgfältig abgeklärt.