Panikattacken: SOS am Klettersteig
Wanderer können auch ohne Kletterkenntnisse den Nervenkitzel in steilen Felswänden erleben: Klettersteige machen es möglich. Doch immer wieder unterschätzen Leute die Schwierigkeiten – und müssen gerettet werden.
Inhalt
Gesundheitstipp 06/2011
04.06.2011
Letzte Aktualisierung:
07.06.2011
Andreas Gossweiler
An einem Sonntag im Oktober 2007 waren gleich zwei Berggänger am Gantrisch-Klettersteig blockiert: Erst rutschte ein 39-Jähriger an einer steilen Stelle aus.
Dabei verletzte er sich am Arm und konnte nicht mehr weiterklettern. Wenig später kam auch ein 48-jähriger Mann an der gleichen Stelle nicht mehr weiter. Beide Männer mussten von der Rega ausgeflogen werden.
Der Klettersteig war nur drei Monate zuvor eröffnet worden. Gebaut &...
An einem Sonntag im Oktober 2007 waren gleich zwei Berggänger am Gantrisch-Klettersteig blockiert: Erst rutschte ein 39-Jähriger an einer steilen Stelle aus.
Dabei verletzte er sich am Arm und konnte nicht mehr weiterklettern. Wenig später kam auch ein 48-jähriger Mann an der gleichen Stelle nicht mehr weiter. Beide Männer mussten von der Rega ausgeflogen werden.
Der Klettersteig war nur drei Monate zuvor eröffnet worden. Gebaut hatten ihn Bergführer im Auftrag des Fördervereins Region Gantrisch im Berner Oberland. Der Klettersteig führt durch steile bis überhängende Felsen auf den Gipfel des Gantrisch und gilt als «sehr schwierig».
«Nervenkitzel in der Steilwand»
In den letzten Jahren haben Tourismus-Oganisationen und Bergführervereine in den Alpen zahlreiche neue Klettersteige gebaut. Diese sind mit Metalltritten, Leitern und Drahtseilen gesichert.
Unter anderem sorgen luftige Hängebrücken bei vielen Wanderern für einen zusätzlichen Adrenalinschub. Inzwischen gibts in der Schweiz rund 60 Klettersteige. Touristenbüros bewerben sie als «Nervenkitzel in der Steilwand», den auch Leute ohne Klettererfahrung erleben können.
«Gefährlich für Leute, die sich überschätzen»
Doch das Beispiel der blockierten Berggänger am Gantrisch zeigt: Klettersteige sind kein Sonntagsspaziergang. Jeden Sommer müssen Dutzende Berggänger gerettet werden. Die meisten sind nicht verletzt, sondern verängstigt.
Das zeigt die Statistik des Schweizer Alpen-Clubs (SAC). Bergsportexperte Ueli Mosimann erklärt: «Es kommt oft vor, dass unerfahrene Leute in einem Klettersteig blockiert sind.»
Und: «Sie getrauen sich nicht mehr weiterzuklettern und können auch nicht mehr aus eigener Kraft absteigen.» Denn wenn man sich mitten im Klettersteig befindet, ist der Ausstieg selten möglich.
Monique Walter von der Beratungsstelle für Unfallverhütung BfU sagt: «Klettersteige sind vor allem gefährlich für Leute, die ihre Fähigkeiten überschätzen oder sich der Gefahren nicht bewusst sind.»
Unfälle mit Verletzungen passieren meist dann, wenn sich Berggänger auf einem Klettersteig nicht korrekt sichern. Besonders anspruchsvoll ist das Benützen der sogenannten Tyroliennes. Das sind einfache Seilbahnen, an denen man über einen Abgrund saust.
«Für Anfänger ist es schwierig, den Schwung zu bremsen», sagt Mosimann. «Man erreicht dabei immerhin ein Tempo von 20 bis 30 km/h.» In den letzten Jahren gab es zwei tödliche Unfälle bei Tyroliennes.
Einer davon ereignete sich am Klettersteig «Gorge Alpine» bei Saas Fee VS. Im letzten August klinkte dort eine 21-jährige Studentin ihre Karabinerhaken in das Seil ein, ohne das Bremssystem zu benützen.
Immer schneller raste sie am Seil über die Schlucht. Ihre Begleiter mussten zuschauen, wie sie ungebremst an der gegenüberliegenden Felswand aufprallte und starb. Mosimann empfiehlt Anfängern, die Tyroliennes zu umgehen: «Das ist bei allen Klettersteigen möglich.»
Bergwanderer müssen sich bei Klettersteigen vor Abstürzen sichern. Dazu benötigen sie ein Set mit Klettergurt und zwei Karabinerhaken, die man in das Sicherungsseil des Klettersteigs einklinkt. Einer der beiden Karabinerhaken muss immer ins Seil eingehängt sein.
Ein Falldämpfer im Klettersteigset federt die Energie ab, die ensteht, wenn man bei einem Sturz ins Seil fällt. Doch es genügt nicht, das Set mitzunehmen – man muss es auch korrekt anwenden. Sonst droht die Gefahr eines Absturzes mit schweren Folgen.
Das Klettersteigset schützt leichte Menschen aber nur ungenügend vor Stürzen. Neue Studien haben gezeigt, dass die Falldämpfer zu wenig gut wirken, wenn eine Person weniger als 50 Kilo wiegt.
Bruno Hasler, Fachleiter Ausbildung beim SAC, sagt deshalb: «Kinder und leichte Erwachsene müssen zusätzlich mit einem Bergsteigerseil gesichert werden.» Und Kinder unter zehn Jahren sollten grundsätzlich nicht auf Klettersteige.
Am Anfang einfache Klettersteige wählen
Besondere Kletterkenntnisse seien nicht nötig, um einen Klettersteig zu begehen, sagt Mosimann: «Voraussetzung ist, dass man keine Höhenangst hat.» Beim ersten Mal sollte man zudem einen kurzen und einfachen Klettersteig wählen.
Jeder Klettersteig ist mit einem Schwierigkeitsgrad von K1 bis K6 gekennzeichnet. Der Schwierigkeitsgrad ist davon abhängig, wie die Route angelegt ist und wie viel Kraft nötig ist, um die steilsten Stellen zu bewältigen (siehe Tabelle im pdf-Artikel).
SAC-Bergsportfachmann Bruno Hasler empfiehlt: «Anfänger sollten nur Klettersteige mit Schwierigkeitsgrad K1 oder K2 begehen.» Ueli Mosimann rät: «Beim ersten Mal sollte man sich unbedingt von einem Bergführer begleiten lassen.»
Dieser zeigt Anfängern den richtigen Gebrauch des Klettersteigsets. «Bergführer können verängstigte Leute notfalls auch mit einem Seil sichern und ihnen erklären, wie sie die schwierigen Stellen bewältigen.»
Tipps: So vermeiden Sie Klettersteig-Unfälle
- Sie müssen schwindelfrei sein und genügend Kraft in Armen und Beinen haben.
- Anfänger sollten mit einem Bergführer gehen.
- Wählen Sie am Anfang einen Klettersteig mit Schwierigkeitsgrad K1, maximal K2.
- Sichern Sie sich mit einem Klettersteigset (im Sportgeschäft mieten oder kaufen).
- Ein Helm schützt Sie vor Steinschlag, Handschuhe schützen vor rauen Metallteilen. Wichtig sind Alpinwanderschuhe.
- Halten Sie genügend Abstand zu anderen Kletterern. So werden Sie nicht mitgerissen, wenn jemand stürzt.
- Sichern Sie Kinder und Erwachsene unter 50 kg zusätzlich mit einem Bergseil.
- Nehmen Sie genügend Proviant, Wasser sowie Regenkleider und Handy mit.
- Steigen Sie nie bei schlechtem Wetter ein: Die Metallteile an Klettersteigen ziehen bei Gewittern Blitze an.
Weitere Infos
- Internet: SAC-Klettersteig-Verzeichnis: Klettergebiete.ch
- Bücher: Eugen F. Hüsler, Daniel Anker: «Wandern vertikal. Die Klettersteige der Schweiz», AT-Verlag, ca. Fr. 56.–. / Iris Kürschner: «Klettersteige Schweiz», Bergverlag Rother, ca. Fr. 30.–