Ein Reizdarm kann das Leben zur Hölle machen. Selina Rossberger (Name geändert) hat seit über einem Jahr Luft im Bauch. Er sehe aus «wie bei einer Schwangerschaft im fünften Monat». Dazu kommen Krämpfe, ein Völlegefühl und Appetitlosigkeit – «trotz Schwäche», wie sie berichtet. Eine Therapie ist schwierig. Rossberger versuchte alles, trieb Sport, nahm Medikamente, setzte auf Homöopathie, liess bei einem Alternativmediziner den Darm «sanieren». Und trank weder Alkohol noch Kaffee. Vergeblich.
Rossberger ist kein Einzelfall. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass rund jeder zehnte Europäer von ähnlichen Beschwerden geplagt ist, Frauen doppelt so häufig wie Männer. Fachleute suchen fieberhaft nach Lösungen für eine Therapie.
Die neuste ist eine Diät und heisst Fodmap. Das ist die englische Abkürzung für eine Gruppe von Kohlenhydraten: den sogenannten fermentierbaren Oligo-, Di- und Monosacchariden und Polyolen. Bakterien zersetzen diese Kohlenhydrate im Dickdarm – unter Bildung von Wasser und Gasen, die vermutlich die Beschwerden auslösen. Wer diese Kohlenhydrate meidet, soll auch weniger Beschwerden haben. Sie kommen vor allem in Getreide, Zwiebeln, Hülsenfrüchten, Milchprodukten und Fruchtsäften vor (siehe Tabelle).
Ernährungsberater und Anbieter von Fodmap-Seminaren überschlagen sich in den Anpreisungen. Ernaehrungsseminare.ch, eine Gruppe von Ernährungsfachleuten in Bern und Zürich, bezeichnet die Diät gar als «revolutionär». Sie verkauft ein Fodmap-Beratungspaket für 400 Franken. Auch an Spitälern und Unikliniken hat die Fodmap-Diät Einzug gehalten. Sie berufen sich auf Studien, die den Nutzen belegen würden.
Kleine Studien ohne klare Aussage
Doch jetzt wird Kritik laut. Denn der Nutzen der Diät ist nur schwach belegt. Für eine australische Studie, die das Fachblatt «Gastroenterology» letztes Jahr veröffentlichte, untersuchten die Forscher gerade mal 30 Patienten. Die Studie zeigt zwar auf, dass die Diät die Beschwerden bei bis zu Dreivierteln der Patienten linderte. Doch das Horten-Zentrum für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer am Unispital Zürich kritisiert: Bei so kleinen Studien sei es problematisch, eine klare Aussage zu machen. Abweichungen bei einzelnen Patienten würden das Ergebnis schnell verzerren.
Auch Selina Rossberger ist ernüchtert. Sechs Wochen verzichtete sie unter Aufsicht einer Ernährungsberaterin auf die unerwünschten Kohlenhydrate. Ihr Fazit: «Bei mir hat die Diät nichts bewirkt.» Kommt dazu: Die strikte Diät sollte man nur wenige Wochen befolgen. So berichteten kürzlich australische Forscher, dass bereits nach dreiwöchiger Diät der Säuregrad im Darm abfiel und die guten Darmbakterien verschwanden. Beides begünstige die Ansiedlung von Krankheitskeimen im Darm, so die Forscher. Martin Wilhelmi, Darmspezialist von der Central-Paxis in Zürich, wundert das nicht. Er behandelt Patienten mit der Diät, aber nicht länger als sechs Wochen. Dann rät er, mit Mass wieder von den unerwünschten Kohlenhydraten zu essen. Auch müsse eine Fachperson die Diät überwachen, um «Mangelzustände zu vermeiden».
Andere setzen die Diät gar nicht ein. Der Darmforscher Detlef Schuppan von der Universität Mainz (D) sagt: «Ich halte nicht viel von einer strengen Diät.» Er empfiehlt Patienten nur, weniger von den problematischen Kohlenhydraten zu essen. Greift die Diät nach wenigen Wochen, beginnt die Suche nach den Ursachen der Beschwerden. Die Patienten müssen herausfinden, welche Kohlenhydrate sie in welchen Mengen noch vertragen. Die Gesundheitstipp-Ernährungsberaterin Beatrice Schilling sagt, das sei komplex: «Patienten sind alleine oft überfordert.»
Andere Essenszeiten können helfen
Die gute Nachricht: Bei vielen Reizdarm-Patienten braucht es keine aufwendige und einschränkende Diät. Andere Therapien zeigten in Studien vergleichbare Erfolge. Gastroenterologe Rémy Meier von der Ergolz-Klinik in Liestal BL setzt auf das Gespräch beim Arzt. «Bei geringen Beschwerden braucht es meist nicht mehr als das.» Denn ein Reizdarm ist trotz der Beschwerden harmlos. Patienten lernen mit der Zeit, damit umzugehen.
Einfache Verhaltensänderungen reichen (siehe Tipps). Beispiel: Bei zwei von drei Betroffenen verringerten sich die Symptome, wenn sie statt drei grosser Mahlzeiten mehrere kleinere über den Tag verteilten. Das ergab eine Umfrage am Karolinska-Institut in Stockholm (SE) unter 1200 Patienten. Bei Verstopfung helfe, viel zu trinken und auf faserreiche Kost zu achten.
Bei starken Beschwerden setzen Ärzte Medikamente oft nur für kurze Zeit ein: Abführmittel bei Verstopfung oder Mittel, die die Krämpfe lösen. Auch Pfefferminzöl oder das Pflanzenmittel Iberogast können die Beschwerden lindern.
Helena Koblasa von Ernaehrungsseminare.ch sagt, dass auch sie die Fodmap-Diät nur «sehr kurz und minimiert» mache. Die Symptome besserten sich «innert weniger Tage». Man sehe rasch, ob sich die Diät für den Patienten eigne. Helena Koblasa bezweifelt, dass ein Fachgespräch allein zum Erfolg führt. Für das Honorar von 400 Franken müsse sie bis 20 Arbeitsstunden aufwenden. Das sei «ein absoluter Goodwill-Preis».