«Wir haben den Entscheid für den Suizid zu respektieren»
PRO Saskia Frei, Rechtsanwältin, Exit Deutschschweiz
Schon heute können unheilbar Kranke oder Menschen, die an unerträglichen Beschwerden oder einer unzumutbaren Behinderung leiden, den begleiteten Freitod wählen. Voraussetzung ist, dass sie urteilsfähig sind und den Sterbewunsch eigenständig durchführen können.
Wir alle werden immer älter. Die Hochleistungsmedizin ermöglicht zudem vieles, was früher undenkbar gewesen wäre. Gerade deshalb fragen sich vermehrt auch Hochbetagte, ob alles, was medizinisch machbar wäre, auch sinnvoll ist. Eine breit angelegte Mitgliederbefragung unserer Organisation hat gezeigt, dass eine überwältigende Mehrheit den Altersfreitod befürwortet. Zum gleichen Ergebnis kam eine im Auftrag der kirchlichen Zeitung «Reformiert» durchgeführte repräsentative Umfrage.
Hochbetagte Menschen, die nicht an einer tödlichen Krankheit leiden, aber aufgrund von Gebrechen in ihrer Lebensqualität stark beeinträchtigt sind, sollen das Sterbemittel einfacher bekommen können. Es geht nicht darum, gesunde alte Personen in den Tod zu begleiten. Es geht um Menschen, die im eigentlichen Sinn «lebenssatt» sind. Wieso soll ein begleiteter Freitod verwerflich sein, wenn jemand nicht in völliger Abhängigkeit leben und gepflegt werden möchte? Die Qualität in Alters- und Pflegeheimen ist hervorragend. Trotzdem: Will jemand diesen Weg nicht gehen, haben Aussenstehende das zu respektieren.
Selbstverständlich muss man die Motive einer derartigen Entscheidung sorgfältig klären. Geschulte Sterbebegleitpersonen sind dazu in der Lage. Wir werden die öffentliche Debatte über die Frage, wie wir leben und sterben wollen, weiterführen.
«Man muss versuchen, den Suizid zu verhindern»
KONTRA Stefanie Becker, Psychologin und Gerontologin, Schweizerische Gesellschaft für Gerontologie
Die Gründe, weshalb ein alter Mensch sein Leben selber beenden will, sind vielfältig: Manche haben Angst vor Abhängigkeit oder vor Kontrollverlust bei Demenz. Andere fürchten die Schmerzen oder das Ausgeliefertsein an eine hochtechnisierte Medizin. Viele möchten ihren Angehörigen hohe Pflegekosten ersparen oder fühlen sich einfach nutzlos.
Keine Frage: Ein solcher Wunsch ist unbedingt zu respektieren. Es geht um das Recht auf Selbstbestimmung. Allerdings muss man immer auch die Hintergründe beleuchten – insbesondere wenn alte Menschen vereinsamen oder aufgrund von Krankheiten vom sozialen Leben ausgeschlossen sind. Da steht unsere Gesellschaft in der Verantwortung. Lediglich den Suizidwunsch zu akzeptieren, greift zu kurz. Vielmehr muss man die Ursachen des Sterbewunsches abklären und Möglichkeiten ausloten, wie man den Suizid verhindern kann.
Eine zu enge Sichtweise trägt zu einem altersfeindlichen Gesellschaftsklima bei. Sie bringt Hochbetagte in Erklärungszwang, wenn sie trotz Einschränkungen, Abhängigkeit und vielleicht Demenz weiterleben möchten. Hinter einem Suizidwunsch steht zudem häufig ein einseitig negatives Altersbild von Abhängigkeiten und würdelosem Leiden. Ein selbstbestimmter Entscheid setzt auch voraus, dass man über Alternativen informiert ist. Und dazu gehört zu wissen, was Pflege und Betreuung am Lebensende tatsächlich zu leisten vermögen.
Statt zu einem Suizid zu ermuntern, hat unsere Gesellschaft die Pflicht, bessere Rahmenbedingungen für ein würdevolles Altern und Sterben zu schaffen. Nur so erlebt man schwierige Situationen im Alter ohne Ängste.
Aufruf: «Sollen Betagte den begleiteten Freitod wählen können?»
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