Die Sonne scheint aufs Winterthurer Rumstal, die Blüten der Kirschbäume leuchten weiss. Schafe grasen, man hört sie hin und wieder blöken. Ein Schotterweg verliert sich zwischen den Hügeln. Darauf spaziert eine Gruppe Wanderer, zuvorderst Martin Koradi, Dozent für Pflanzenheilkunde in Winterthur.
Er bleibt stehen und beugt sich über den Wegrand. Die breite Krempe seines Huts fällt ihm ins Gesicht. Im Gras leuchtet etwas Gelbes hervor. «Das ist eines meiner 25 Lieblingspflänzchen», sagt Koradi, «ein Blutwurz, auch Tormentill genannt. Es stillt kleine Blutungen und hilft gegen Aphthen im Mund.» Sofort zücken einige Mitwanderer ihr Handy und machen ein Foto des gelben Blümchens, andere schreiben in ihr Notizbuch. Sie sind an diesem schönen Maitag auf einer Kräuterwanderung unterwegs.
Wallwurz: Gut gegen Rückenweh
Auch andere Fachleute bieten Kräuterexkursionen an (siehe Tabelle). Bei einigen Wanderungen geht es mehr um das Kulinarische: Die Experten zeigen den Gästen, welche Pflanzen sie zum Kochen verwenden können. Bei anderen lernt man, wie man aus Heilpflanzen Salben oder Sirup herstellt.
Martin Koradi ist einer der Anbieter. Seine Stärke: Er kennt neben der traditionellen Verwendung der Heilpflanzen auch die wissenschaftlichen Studien dazu.
Nun führt er seine Wandergruppe an einem Teich im Winterthurer Dättnauertal vorbei. Nach einem Waldstück tritt er hinaus auf eine Ebene mit Blick auf einen idyllischen Weiler in der Talsohle. Am Rand einer Wiese schiesst ein hohes, borstiges Kraut mit violetten Blüten aus dem Boden: Es ist Wallwurz, auch Beinwell genannt.
Die Wurzel soll gegen allerlei Beschwerden helfen. Koradi bestätigt: «Wissenschaftliche Studien belegen, dass Wallwurzsalbe gut gegen Rückenweh oder Quetschungen hilft.» Er warnt allerdings: «Es gibt keinen Beleg, dass Wallwurzsalbe auch Knochenbrüche heilt, obwohl man das immer wieder hört.»
«Die Warzen gehen weg – oder auch nicht»
Um Heilpflanzen ranken sich viele mythische Geschichten. Zum Beispiel um den Breitwegerich. Als Martin Koradi an der Stelle vorbeikommt, wo die Pflanze mit den langen ovalen Blättern wächst, sagt er augenzwinkernd: «Dieses Heilkraut wirkt gegen angezauberte Liebe.» Das heisst: Das Kraut soll wirken, wenn man plötzlich einen Menschen liebt, ohne dass man das eigentlich möchte. Man müsse in einem solchen Fall den Breitwegerich fünf Tage im Wasser einlegen und dann mit einem starken Abführmittel trinken. «Wenn man es nicht genau macht, wirkt es aber nicht», sagt der Heilpflanzen Fachmann.
Knoblauchrauke: Schmeckt gut im Salat
Das gelbe Schöllkraut soll gegen Warzen helfen. Auch dieser überlieferte Nutzen sei aber mit Vorsicht zu geniessen. Man müsse seinen orange-gelben Milchsaft zwei Mal pro Tag drauftupfen. Koradi: «Dann gehen die Warzen weg – oder auch nicht.» Im Kanton Aargau gelte ausserdem: «Das Schöllkraut muss auf dem Friedhof wachsen, dann wirkt es besonders gut.» Es gebe keinen Beleg dafür, dass das Kraut Warzen heile, «aber schaden tut es auch nicht».
Am Waldrand flattert ein weisser Schmetterling mit orangen Flügelspitzen über ein Kraut mit weissen Blüten. «Ein Aurorafalter», sagt Koradi. Die Knoblauchrauke dient seiner Raupe als Nahrung. Aber auch für Menschen ist die Knoblauchrauke essbar. Wenn man ihre groben Blätter zwischen den Fingern reibt, steigt ein Duft von Knoblauch auf. «Das schmeckt lecker in einem Wildsalat», sagt Koradi.
Eine der Mitwanderinnen freut das besonders. «Ich liebe es, die Zutaten für mein Znacht selber zu sammeln», sagt sie.