Larry Boxler, haben Sie zurzeit noch Freude am Velofahren?
Warum?
Es ist eisig und kalt.
Der Winter hat auch Positives. Es sind weniger Fussgänger und Velofahrer auf der Strasse. Deshalb ist das Fahren angenehmer. Am schlimmsten ist es, wenn es nass und kalt ist. Dann denke ich manchmal: Wieso mache ich das?
Wieso machen Sie es?
Ich werde für meine Leidenschaft, das Velofahren, bezahlt. Kalte und nasse Tage streiche ich aus dem Gedächtnis. Aber man muss schon wetterfest sein. Und leiden können.
Sind Sie ein Masochist?
(lacht) Na ja – ich habe nicht gesagt, dass ich gerne leide. Aber wenn ich zwischen zwei Aufträgen länger draussen herumstehen muss, ist das bitter. Es gibt zum Beispiel keine Handschuhe, in denen die Hände den ganzen Tag trocken bleiben. Ich habe speziell Mühe mit den Fingern: Nach wenigen Minuten auf dem Velo werden sie eiskalt. Richtig schlimm wird es, wenn sie sich weiss verfärben. Ich spüre dann nichts mehr und kann fast nicht mehr bremsen.
Das klingt gefährlich. Sie müssen sich die Strasse ja auch mit aggressiven Autofahrern teilen.
Ich habe den Eindruck, dass die Autolenker im Winter weniger aggressiv fahren. An kalten Tagen ist die Gefahr grösser, dass man über eine Eisplatte fährt und stürzt. Doch das gehört zu unserem Beruf. Letzten Winter geriet ich zum Beispiel in eine Tramschiene. Plötzlich lag ich auf dem matschigen Boden. Ich verletzte mich zwar nicht, war aber die nächsten fünf Stunden tropfnass.
Angst haben Sie nicht?
Nein. Vor einigen Wochen wurde es aber brenzlig. Ich war relativ schnell auf einer vereisten Strasse unterwegs. Plötzlich kam ein Auto aus einer Seitenstrasse und blieb stehen. Ich bremste sofort, bin aber rund 30 Meter weitergerutscht. Im letzten Moment fuhr der Fahrer weg.
Und dann fahren Sie weiter, als wäre nichts geschehen?
Natürlich war ich im ersten Moment geschockt. Aber das vergeht schnell. Solche Zwischenfälle gehören dazu. Ein Velokurier darf keine Angst haben. Wenn ich mir über jede Schrecksekunde Gedanken machen würde, könnte ich nachts nicht schlafen.
Verdrängen Sie die Gefahr?
Bis zu einem gewissen Punkt ja. Das muss ich. Sonst könnte ich den Job nicht machen. Jeder Velokurier ist ein Stück weit ein Draufgänger.
Dann stimmt es also, dass Velokuriere Verkehrsrowdys sind?
(lacht) Ich glaube, jeder von uns ist schneller als ein normaler Velofahrer. Für Aussenstehende sieht es deshalb oft gefährlicher aus, als es ist. Ich liebe es, Adrenalin in meinen Adern zu spüren. Aber wenn ich mich austoben will, gehe ich mit dem Mountainbike in den Wald. Unser Beruf erfordert sehr hohe Konzentration. Man darf sich keine Fehler erlauben. Ein Rotlicht oder einen Fussgänger zu übersehen, kann fatale Folgen haben.
Zur Person: Larry Boxler
Der 30-Jährige aus Dübendorf ZH ist ein Abenteurer, wie er selber sagt. Vor eineinhalb Jahren hat er das Velofahren zum Beruf gemacht. An vier bis fünf Tagen pro Woche saust er für die Kurierfirma Veloblitz durch die Zürcher City. Er liefert Akten, Blutproben oder Blumen.