Der 12. Juli verlief für Samuel Wüest aus Urnäsch AR anders als geplant. In der Physiotherapie wurde dem 50-Jährigen plötzlich schlecht. Schweissausbrüche und Schwindel kamen dazu. Der Praxisarzt schickte ihn ins nahe Kantonsspital Winterthur. Die Ärzte stellten fest, dass sein Blinddarm entzündet war. Sie rieten ihm dringend zur Operation.
Doch Wüest wollte nicht. «Ich fühlte mich zur Operation gedrängt», sagt er. Die Ärzte hätten ihm nicht plausibel erklären können, warum die Operation nötig sei. «Ich musste mehrmals nachfragen, bis ich die Untersuchungsergebnisse sehen durfte.» Die beiden Ärzte hätten ihm die Ergebnisse zudem sehr unterschiedlich erklärt.
Wüest entschied sich deshalb, das Spital zu verlassen – gegen den Rat der Ärzte. Das bestätigt der Spitalbericht, der dem Gesundheitstipp vorliegt: «Trotz mehrmaligen Gesprächen blieb der Patient bei seiner Meinung.» Die Ärzte gaben ihm Antibiotika und Schmerzmittel mit.
Drei Viertel würden ohne Operation wieder gesund
Zu Hause schluckte Wüest die Antibiotika und ging zu seinem Hausarzt. Nach einigen Tagen klang die Entzündung ab. Kein Einzelfall: Laut neueren Studien ist nicht bei allen akuten Blinddarmentzündungen eine Operation nötig («Saldo» 16/2015). 2015 zeigte eine finnische Studie, dass bei 186 von 256 Patienten eine Antibiotika-Therapie genügte. Der Arzt Johann Steurer vom Horten-Zentrum für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer in Zürich sagt: Die Studie zeige, dass man «drei Viertel aller Patienten» mit einer akuten Blinddarmentzündung ohne Komplikationen mit Antibiotika behandeln könnte.
Trotzdem operieren Spitalärzte die meisten Blinddarmpatienten – so auch am Spital Tiefenau in Bern. Chirurgin Eva Moser Schaub sagt: «Eine Blinddarmentzündung ist ein Notfall, der in den meisten Fällen zu einer Operation führt.» Viele Ärzte befürchten, dass der Blinddarm platzen und den Bauchraum mit gefährlichen Bakterien füllen könnte. Bei jungen Menschen will man nicht riskieren, dass sie unfruchtbar werden. Und bei Kindern möchten Fachleute nicht abwarten, da bei ihnen der Blinddarm schneller durchbricht. Bei Patienten, die noch andere schwere Krankheiten haben, wäre die Operation aber ein grosses Risiko. Dann seien Antibiotika eine Alternative, sagt Moser.
Das Kantonsspital Winterthur bedauert, dass sich Patient Wüest nicht gut betreut fühlte. Man lege Wert auf eine «gute Aufklärung» der Patienten. Bei einer akuten Entzündung empfehle das Spital meist die Operation. Nur in speziellen Fällen verzichte man darauf. Etwa, wenn die Entzündung chronisch oder ein Teil des Dünn- und Dickdarms betroffen sei.
Tipps
- Blinddarm: Das müssen Sie wissen
- Der Schmerz beginnt meist beim Bauchnabel und wandert in den rechten Unterbauch. Die Bauchdecke ist druckempfindlich. Dazu kommen Übelkeit, Appetitlosigkeit, teils auch Fieber.
- Die Schmerzen werden beim Gehen stärker.
- Hüpfen auf dem rechten Bein schmerzt stark.
- Bei der einfachen Blinddarmentzündung ist das Gewebe nur entzündet. Die Entzündung kann sich noch zurückbilden, der Schmerz dauert nur wenige Stunden.
- Im fortgeschrittenen Stadium ist die Entzündung stärker ausgeprägt. Eiter dringt aus dem Darm in den Bauchraum. Dies kann innerhalb von 24 bis 48 Stunden lebensgefährlich werden, weil der Blinddarm platzen kann.