Alle Menschen im Alter von 15 bis 65 Jahren sollen sich auf HIV testen lassen. Sonst bestehe die Gefahr, dass man Sexualpartner «unwissend ansteckt». Das steht in der neuen Broschüre «Der HIV-Test» des Vereins Aids-Aufklärung Schweiz. Die Organisation ist nicht zu verwechseln mit der Aids-Hilfe Schweiz, die vom Bundesamt für Gesundheit finanziert wird.
Geschrieben hat die Broschüre der Psychiater Kurt April aus Horgen ZH. Er ist Präsident der Aids-Aufklärung Schweiz. In der Broschüre steht zudem, alle HIV-Infizierten sollten «umgehend» mit Medikamenten behandelt werden – nicht nur Kranke. Das empfehle auch die Weltgesundheitsorganisation. Finanziert wurde der Druck der Broschüre vom Zürcher Labor Medica, das HIV-Tests anbietet.
Für die meisten besteht kein Grund zur Sorge
Fachleute kritisieren die Idee, dass sich alle auf HIV testen lassen sollen. Roger Staub, Leiter Prävention und Promotion im Bundesamt für Gesundheit (BAG), sagt: «Menschen, die ein Ansteckungsrisiko eingegangen sind, sollen sich auf HIV testen und vom Arzt beraten lassen.» Zudem sollen Ärzte bei Symptomen wie Fieber oder anderen Zeichen einer Virus-Krankheit den Patienten einen HIV-Test vorschlagen. «Wer keinen Sex hat oder beim Sex keine Risiken eingeht», so Staub, «muss sich keine Sorgen machen.»
Staub erklärt, in der Schweiz seien nur drei von tausend Einwohnern mit HIV infiziert. Das sei wenig im internationalen Vergleich: «Man müsste bei uns sehr viele Leute testen, bis man einen finden würde, der nicht wusste, dass er infiziert ist.» Der finanzielle Aufwand lohne sich nicht.
«Mit dem Test stoppt man die Epidemie nicht»
Pietro Vernazza, Infektiologe am Kantonsspital St. Gallen, stellt zudem klar: «Mit dem Test alleine kann man die HIV-Epidemie nicht stoppen.» Deshalb sei es falsch, ihn als Lösung darzustellen: «Sonst fühlen sich Menschen, die sich nicht testen lassen wollen, ausgegrenzt.»
Auch die Empfehlung in der Broschüre, bei einem positiven Testresultat sofort Medikamente zu schlucken, stösst bei den Ärzten auf Kritik. Vernazza sagt, die Therapie sei nur wirksam, wenn das Immunsystem bereits angegriffen sei und die Zahl der sogenannten Helferzellen unter einen bestimmten Wert sinke. «Bei einem früheren Beginn der Therapie ist der Nutzen für die Patienten gering», so Vernazza. «Die Prämienzahler werden jedoch mit Kosten von rund 25 000 Franken pro Jahr und Patient zusätzlich belastet.»
Harry Witzthum von der Aids-Hilfe Schweiz, die mit dem BAG zusammenarbeitet, befürchtet zudem: «Wenn man Patienten unter Druck setzt, die Therapie möglichst schnell zu beginnen, kann dies ihrer Bereitschaft, die Medikamente lebenslang regelmässig zu nehmen, schaden.» Doch wenn Patienten die Therapie abbrechen, könnten sich resistente Viren bilden.
Nachfolgeorganisation einer Psychosekte
Die Weltgesundheitsorganisation WHO wirft der Aids-Aufklärung Schweiz vor, sie sei in der Broschüre falsch zitiert worden. WHO-Mitarbeiter Andrew Ball stellt klar: «Die WHO empfiehlt nicht, alle Menschen auf HIV zu testen und die Behandlung sofort zu beginnen.»
Laut verschiedenen Quellen ist die Aids-Aufklärung Schweiz eine der Nachfolgeorganisationen der umstrittenen, vor zehn Jahren aufgelösten Psychosekte Verein für psychologische Menschenkenntnis (VPM). Recherchen des Gesundheitstipp zeigen, dass Präsident Kurt April und zwei weitere Vorstandsmitglieder beim VPM aktiv waren: der Orthopäde Patrick Holzmann und der Arzt Giovanni Fantacci.
«Vom Gedankengut des VPM abgegrenzt»
Zur Kritik der Fachleute an der Broschüre «Der HIV-Test» wollte Präsident Kurt April nicht Stellung nehmen. Er sagt, die Kritiker hätten den Inhalt der Broschüre falsch interpretiert. April gibt zu, dass er in den Anfangszeiten des VPM am «Arbeitskreis Aidsprävention VPM» teilgenommen habe. Er sei aber nicht VPM-Mitglied gewesen. Weil der VPM zunehmend engstirnig und erzkonservativ geworden sei, habe er sich davon distanziert. In den ersten Jahren seien einzelne Mitglieder der Aids-Aufklärung Schweiz dem VPM nahegestanden. Sie seien aber immer in der Minderheit gewesen. Die Aids-Aufklärung Schweiz sei seit der Gründung im Jahr 1989 vom VPM unabhängig und habe sich von dessen Gedankengut abgegrenzt. Sie sei keine VPM-Nachfolgegruppe. Die Vorstandsmitglieder Patrick Holzmann und Giovanni Fantacci nahmen nicht Stellung zu ihren früheren Aktivitäten beim VPM.
Medica-Chef Franz Käppeli sagt, seine Firma habe der Aids-Aufklärung Schweiz gleich viel Geld gegeben wie der Aids-Hilfe Schweiz. Die Empfehlung in der Broschüre sei nicht optimal formuliert, findet Käppeli: «Korrekt ist: Alle sexuell aktiven Menschen sollten sich testen lassen.»
TIPPS: So schützen Sie sich vor einer HIV-Ansteckung
- Verwenden Sie beim Sex mit neuen Bekanntschaften stets ein Kondom.
- Vermeiden Sie riskante Sexpraktiken. Dazu gehört zum Beispiel Sex ohne Kondom und Sperma oder Blut im Mund.
- Lassen Sie sich auf HIV testen, wenn Sie ein Ansteckungsrisiko eingegangen sind.
- Erst drei Monate nach einer Risikosituation ergibt der Test ein sicheres Resultat.
- Informationen zum HIV-Test finden Sie unter folgendem Link: www.aids.ch/d/fragen/ hivtest.php