Immer sagte er denselben Satz: «Ich bin glücklich, ich selbst zu sein» – drei Stunden lang. So schildert Fabian Brunner* eine Übung aus einem Avatar-Kurs, den er letztes Jahr besuchte. Ein solcher Kurs dauert neun Tage. Im Internet wird er als «sanftes, nicht-konfrontatives Abenteuer der Selbst-Entdeckung» angepriesen. Danach sollen die Teilnehmer in der Lage sein, alle Widerwärtigkeiten zu bewältigen, die sich ihnen stellen. Die Teilnehmer, so das Versprechen, erhielten die totale Kontrolle über ihr Leben, ja das ganze Universum. Im Wortlaut der Avatar-Homepage klingt das so: «Wenn Sie in der Lage sind, jeden Aspekt ihres Lebens vom Standpunkt eines Schöpfers aus zu betrachten, haben Sie den Zustand erreicht, den wir ‹Avatar› nennen.»
Gründer war früher ein Anhänger der Scientologen
Gegründet wurde Avatar von Harry Palmer, einem Ex-Scientologen. In der Öffentlichkeit sind die Kurse bisher kaum ein Thema. Georg Schmid von der evangelischen Informationsstelle Kirchen–Sekten–Religionen stellt jedoch einen Boom fest: «Wir erhalten sehr viele Anfragen zu Avatar.» Er schätzt, dass in der Schweiz mehrere hundert Avatar-Meister Kurse anbieten. Als Sekte will Schmid Avatar zwar nicht bezeichnen. Doch er warnt vor den Kursen: «Die Übungen können die Psyche stark verändern.» Hemmnisse, zum Beispiel aus der Kindheit, würden ans Licht geholt, um sie danach vermeintlich abschütteln zu können. Dabei entstehe eine Gruppendynamik, in der kaum mehr eine Privatsphäre möglich sei, so Schmid: «Viele Teilnehmer geben intime Details aus ihrem Leben preis. Das Resultat ist oft ein Zusammenbruch, gefolgt von einer starken Euphorie, die aber nicht von Dauer ist.»
Kursteilnehmerin: Leben nach den Leitlinien ihres Avatar-Meisters
Dies hat Walter Roth* hautnah miterlebt. Seine damalige Freundin machte einen Avatar-Kurs: «Sie wurde immer deprimierter am Telefon, war völlig fertig, heulte. Doch gegen Ende des Kurses kippte sie plötzlich: Alles sei wunderbar, sie sei endlich glücklich geworden.» In den Wochen nach dem Kurs stand sie in ständigem E-Mail-Kontakt mit ihrem Avatar-Meister. «Sie bekam von ihm Leitlinien», ist Walter Roth überzeugt. «Nun richtete sie ihr ganzes Leben danach aus.» Mit Handauflegen und Telepathie wollte sie ihn dazu bringen, auch einen Kurs zu besuchen: «Sie erklärte mir, dass sie mit der Kraft ihrer positiven Gedanken meine Wirklichkeit verändern wolle.» Als dies nicht funktionierte, beendete sie die Beziehung abrupt. Neun Wochen später lud sie ihn wieder zu sich ein. Feste Nahrung nahm sie nicht mehr zu sich: «Ihr Kühlschrank war völlig leer, bis auf ein paar Flaschen Molke und acht Flaschen Sekt.» Im Nachhinein hat sich Walter Roth eingestanden, dass seine Freundin wohl schon vor dem Kurs eine Borderline-Persönlichkeitsstörung hatte. «Sie wollte den Kurs offenbar als eine Art Therapie machen. Passiert ist aber das Gegenteil.»
«Es gab Leute, die nach dem Kurs die Welt nicht mehr verstanden»
Auch Aussteiger berichten von massiven psychischen Auswirkungen der Kurse. Andrea Widmer* nahm an drei Avatar-Kursen teil. «Es ist eine Gehirnwäsche», sagt sie. Vom bisherigen Leben bleibe kein Stein auf dem anderen. Sie selbst habe dies zwar unbeschadet überstanden. «Aber es gab Leute, die nach dem Kurs die Welt nicht mehr verstanden.» Andrea Widmer ist überzeugt: «Bei labilen Menschen können diese Übungen Depressionen oder Psychosen auslösen.» Sektenexperte Georg Schmid teilt diese Kritik: «Wer Mühe hat, zwischen Wirklichkeit und Fantasie zu unterscheiden, darf solche Kurse nicht besuchen», warnt er. Tatsächlich nähmen aber viele Menschen mit starken psychischen Problemen an Avatar-Kursen teil: «Viele Avatar-Meister machen keine seriöse Abklärung, sondern nehmen labile Leute in den Kurs auf. Das ist gefährlich.» Dazu kommen die hohen Kosten: Der Grundkurs kostet 3680 Franken, der Masterkurs rund 6400 und der Wizard-Kurs schliesslich rund 8700 Franken. Dazu kommen noch Verpflegung und Übernachtung in einem Seminarhotel. Zwar behauptet Avatar, es gebe «nach dem Avatar-Kurs keine Verpflichtungen». Zudem könne man einen Kurs beliebig oft «gegen eine geringe Organisationsgebühr» wiederholen, wenn man die Kursgebühr einmal bezahlt habe.
«Die Avatar-Hierarchie hat mich immer mehr unter Druck gesetzt»
Doch Aussteiger widersprechen, wie zum Beispiel Verena Suter*. Sie war jahrelang eine erfolgreiche Avatar-Meisterin und rekrutierte über hundert Teilnehmer für den Avatar-Grundkurs. Diejenigen, die weitergemacht hätten und Meister wurden, seien immer öfter dazu angehalten worden, als Praktikanten in einem Kurs mitzuarbeiten – und mussten dafür 920 Franken zahlen, plus Kost und Logis im Hotel. «Ohne diese Praktika hätten sie ihre Lizenz als Avatar-Meister verloren.» Das System sei im Lauf der Zeit zunehmend unnachgiebig geworden, sagt Verena Suter: «Die Avatar-Hierarchie hat mich immer mehr unter Druck gesetzt, Leute zu rekrutieren – oder ich musste die Leute animieren, einen weiteren Kurs zu machen, obwohl sie kein Geld hatten.» Deshalb sagte sie sich schliesslich von Avatar los. Avatar nahm zu der Kritik keine Stellung.
* Namen geändert