«Die Buckel auf meiner Haut stören uns eigentlich kaum»
Inhalt
Gesundheitstipp 5/2001
01.05.2001
Ruth (40) und Walter (51) Wolf-Christen über den Umgang mit Neurofibromatose
Als rote Erbsli oder Schwämmchen - so beschreibt Ruth die Knubbel auf der Haut ihres Mannes Walter. Eine Krankheit der Hautnerven hat bei ihm zu diesen Buckeln geführt. Doch damit lässt sichs leben, finden beide.
Ursula Angst-Vonwiller redaktion@pulstipp.ch
Ruth: Ich weiss gar nicht, ob ich die Hautbuckel bemerkt habe, als ich dich auf dem Fussballplatz kennen lernte. Jed...
Ruth (40) und Walter (51) Wolf-Christen über den Umgang mit Neurofibromatose
Als rote Erbsli oder Schwämmchen - so beschreibt Ruth die Knubbel auf der Haut ihres Mannes Walter. Eine Krankheit der Hautnerven hat bei ihm zu diesen Buckeln geführt. Doch damit lässt sichs leben, finden beide.
Ursula Angst-Vonwiller redaktion@pulstipp.ch
Ruth: Ich weiss gar nicht, ob ich die Hautbuckel bemerkt habe, als ich dich auf dem Fussballplatz kennen lernte. Jedenfalls haben sie mich nie gestört und schon gar nicht angeekelt. Sie gehören einfach zu dir.
Walter: Ich kann mich fast nicht mehr an die Zeit ohne Knoten erinnern. Als ich 13 oder 14 Jahre alt war, fing es an.
Ruth: Heute hast du auch dunkle, ziemlich grossflächige Verfärbungen auf der Haut.
Walter: Ja, aber die hatte ich bereits als Kind.
Ruth: Je älter du wirst, desto mehr Buckel bekommst du.
Walter: Bis jetzt stört mich kein einziger davon.
Ruth: Mich auch nicht. Ich sage immer, dass ich vielleicht keinen schönen, dafür einen lieben Mann habe - einen, auf den ich mich verlassen kann. Das ist mir viel wichtiger als äusserliche Schönheit.
Walter: Gut für mich! Auch sonst stiess ich nie auf ablehnende Reaktionen von anderen Menschen.
Ruth: Ich glaube nicht, dass du das bemerken würdest. Manchmal setzen sich gewisse Leute im Schwimmbad doch ein bisschen weiter weg von dir oder schauen dir nach.
Walter: Und du meinst, das sei wegen meiner Hautbuckel?
Ruth: Klar, aber so lange dich das nicht stört, ist das ja auch nicht weiter schlimm.
Walter: Von meinen Ringer-Kollegen hat auch keiner je etwas wegen der Buckel gesagt. Und Ringen ist ein Sport mit viel Hautkontakt.
Ruth: Die kennen dich eben nicht ohne diese Hautveränderungen.
Walter: Die Hautbuckel sind ja auch nicht ekelhaft. Sie nässen nicht, sind nicht eitrig und platzen nicht auf. Vielleicht denken manche einfach, dass ich sehr empfindlich auf Mückenstiche reagiere. Die Buckel jucken überhaupt nicht. Aufpassen muss ich nur, wenn ich der Sonne ausgesetzt bin. Die Buckel bekommen schnell Sonnenbrand. Dann spannt die Haut sehr stark und unangenehm. Aber seit ich das weiss, schütze ich mich vor der Sonne.
Ruth: Du hast ohnehin eine helle und empfindliche Haut. Wenn du stark schwitzt, sieht deine Haut aus, als ob sie voller roter Erbsli wäre mit weissen Gitterchen drum herum.
Walter: Kaum jemand kommt auf die Idee, dass das eine Krankheit sein könnte. Vielleicht wagt auch keiner zu fragen, was ich da habe.
Ruth: Die Buckel sehen ganz verschieden aus. Manche einfach wie rote Erbsli - harte, eng begrenzte Buckel -, andere sind flach, bläulich und ganz weich. Wieder andere erinnern mich an kleine Schwämmchen.
Walter: Du kennst dich besser aus mit ihnen als ich selbst.
Ruth: Ich kontrolliere die Stellen immer wieder, aber eher nebenbei. Wenn ich dich in den Armen halte, fällt mir sofort auf, wenn neue Buckel dazugekommen sind oder wenn sich einer plötzlich sehr stark verändert hat.
Walter: Natürlich müssen wir die Buckel im Auge behalten. Sie sind zwar völlig harmlos, aber bei Hautveränderungen ist immer Vorsicht geboten. In unserer ganzen Familie ist zwar noch nie ein Hautkrebs vorgekommen.
Ruth: Die Buckel sind nur Verdickungen direkt unter der Fettschicht, im Körper sind keine Spuren zu sehen. Vor Jahren hat sich das klar gezeigt, als der Arzt deine Leber wegen einer Prellung schichtweise röntgen liess. Die Prellung der Leber und auch die Buckel waren deutlich zu sehen. Sie liegen ganz isoliert unter der Hautoberfläche.
Walter: Der Augenarzt kann die Neurofibromatose mit einer Spezialuntersuchung feststellen. Die erblich bedingte Nervenkrankheit zeigt sich an Knötchen auf der Regenbogenhaut.
Ruth: Die sind von blossem Auge nicht zu sehen und absolut harmlos. Menschen mit solchen Knötchen können die Krankheit allerdings weitervererben, auch wenn sie selber weder Flecken noch Knoten haben.
Walter: Eigentlich habe ich eine Krankheit, die mich kaum stört. Bei mir ist es ja nur ein ästhetisches Problem!
Ruth: Als wir unser drittes Kind erwartet haben, machte uns die Krankheit allerdings Sorgen. Eine meiner Schwestern ist mit deinem Bruder verheiratet, der die Krankheit ebenfalls hat. Die beiden bekamen ein behindertes Kind. Und ich hatte bereits drei Fehlgeburten hinter mir, als ich wieder schwanger war. Da fragten wir uns plötzlich doch, ob die Behinderung und die Fehlgeburten mit der erblichen Hautkrankheit zusammenhängen könnten.
Walter: Die Ärzte haben zwar gesagt, dass bis jetzt kein Zusammenhang bekannt sei.
Ruth: Verunsichert waren wir aber doch. Wir willigten in vorgeburtliche Tests ein. Das würden wir heute nicht mehr auf uns nehmen. Bis zur 28. Woche warteten wir auf das Ergebnis, das Kind war bereits lebensfähig. Für uns wurde klar, dass wir auch bei schlechtem Befund eine Abtreibung nicht in Betracht ziehen würden. Zum Glück war der Bescheid gut und auch unser drittes Kind gesund.
Walter: Bis jetzt hat keines der Kinder die Buckel.
Ruth: Sie könnten während der Pubertät immer noch kommen.
Walter: Wahrscheinlich wären sie für keines unserer Kinder ein grosses Problem.
Ruth: Sie sehen ja, dass in unserer Familie viele damit leben.
Walter: Alle können gut damit umgehen.
Ruth: Deine 30-jährige Nichte hat zwar gerade die zweite Operation am Ellbogen hinter sich. Sie liess jene Buckel, die sie bei gewissen Bewegungen sehr störten, entfernen. Leider wachsen sie an den gleichen Stelle wieder nach.
Walter: Die Operation ist keine grosse Sache, aber es bleibt natürlich jedes Mal eine Narbe zurück.
Ruth: Deine Mutter hat Buckel, die sie sehr stark stören. Zum Beispiel einen auf dem Schlüsselbein, der oft schmerzt, weil der BH-Träger darauf scheuert. Dort hat sich ein Buckel mit einer Talgdrüse verbunden. Hin und wieder öffnet der Arzt diese Stelle und drückt den Talg aus. Das hilft für einige Zeit. Hinten am Rücken hat sie einen ganz grossen, zapfenförmigen Buckel, der sehr druckempfindlich ist.
Walter: Meine Mutter ärgert es auch zunehmend, dass sich sofort alle Ärzte um sie scharen, wenn sie irgendeiner Beschwerde wegen ins Spital muss.
Ruth: Die ausgeprägte Form ihrer Krankheit interessiert eben Studierende und Assistenzärzte sehr.
Walter: 1987 hat unsere Familie sogar an einem kleinen Forschungsprojekt über die Neurofibromatose mitgemacht.
Ruth: Deine Familie war wohl besonders interessant, weil sie sehr gross ist und weil die Ärzte drei Generationen in die Untersuchung einbeziehen konnten.
Walter: Für uns war beruhigend zu hören, dass keine besondere Anfälligkeit für Hautkrebs besteht. Trotzdem arbeite ich weiter an meiner positiven Grundeinstellung zum Leben. Ich mache autogenes Training und philosophiere gern.
Ruth: Wir leben gut mit deinen Buckeln. Mir ist es aber trotzdem wichtig, davon zu erzählen. Es gibt ja immer wieder Eltern, deren Kinder neu betroffen sind. Da ist Information sehr wichtig, damit sie sich nicht zu sehr ängstigen.
Walter: Die Leute sind eben schnell verunsichert, wenn ihr Kleinkind braune Flecken hat, die mehr als einen Zentimeter Durchmesser haben.
Neurofibromatose - Bei jedem zweiten Patienten ist die Krankheit der Hautnerven vererbt
Neurofibromatose (NF), auch Morbus Recklinghausen genannt, ist eine erbliche Krankheit der Hautnerven. Von 3000 Menschen ist im Schnitt einer betroffen. Die Krankheit kann unterschiedlich ausgeprägt sein.
- Um eine Diagnose zu stellen, müssen die Ärzte die Haut gründlich untersuchen. Im Zweifelsfall ist es nötig, zusätzlich die Augen testen zu lassen, da Personen mit NF fast ausnahmslos besondere Knötchen auf der Regenbogenhaut aufweisen.
- Die Krankheit beginnt oft schon im Säuglingsalter mit hellbraunen Flecken. Die Flecken wachsen mit dem Kind und sind harmlos.
- Hautknötchen (Neurofibrome) entstehen selten vor der Pubertät. Ihre Grösse, Form und Anzahl ist von Mensch zu Mensch verschieden, nimmt aber mit dem Alter zu. Die Knoten sind gutartig, können aber je nach Lage schmerzen. Grosse oder störende Neurofibrome kann der Chirurg entfernen.
- Manchmal kommt es zu Komplikationen: Säuglinge können kurz nach der Geburt von flächigen schwammartigen Fibromen befallen sein. Weitere mögliche Folgen sind: Lernstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Bluthochdruck, Wirbelsäulenverkrümmung und Tumore im Bereich der Sehnerven. Menschen mit NF haben ein leicht erhöhtes Krebsrisiko.
- Bei jedem zweiten Patienten ist die Krankheit erblich bedingt. Betroffene Frauen vererben die Krankheit mit 50-prozentiger Sicherheit an ihr Kind. NF überspringt keine Generation.
- Weitere Informationen: Neurofibromatose-Vereinigung Schweiz (SNFV), Goldauerstr. 7, 8006 Zürich, Tel. 01 363 83 83