Die Gabel: Vom «sündigen Werkzeug» zum Essgerät - «Doch mit dem Löffel kriegt man mehr»
Inhalt
Haus & Garten 1/2000
01.01.2000
Andere Zeiten, andere Sitten: Mit den Fingern zu essen gilt heute als unschicklich. Wer aber vor 900 Jahren zur Gabel griff, wurde von der Kirche als «Jünger des Teufels» verfolgt.
So selbstverständlich, wie Sie heute mit einer Gabel Ihre Spaghetti aufrollen, sich ein Salatblatt angeln oder ein Stück Fleisch aufspiessen, war der Gebrauch dieses Werkzeugs beileibe nicht immer.
Die Gabel ist das jüngste Mitglied des Besteck-Trios «Messer, Löffel, Gabel» - auc...
Andere Zeiten, andere Sitten: Mit den Fingern zu essen gilt heute als unschicklich. Wer aber vor 900 Jahren zur Gabel griff, wurde von der Kirche als «Jünger des Teufels» verfolgt.
So selbstverständlich, wie Sie heute mit einer Gabel Ihre Spaghetti aufrollen, sich ein Salatblatt angeln oder ein Stück Fleisch aufspiessen, war der Gebrauch dieses Werkzeugs beileibe nicht immer.
Die Gabel ist das jüngste Mitglied des Besteck-Trios «Messer, Löffel, Gabel» - auch wenn ihr Ursprung weit zurückliegt:
In homerischer Zeit gab es eine Sorte, bei der fünf Zacken im Rund standen. Bei den Römern tauchte sie mit manchen Spezialfunktionen auf, wie etwa als Schneckengabel. Der anspruchsvolle Römer pickte bei Tisch sein Fleisch mit einem Spiesschen auf, dem später eine zweite Zinke hinzugefügt wurde. So konnte man mehr Fleisch gleichzeitig aus dem Topf fischen. Die Griffe der zweizinkigen Gabeln waren aus Elfenbein oder anderem kostbarem Material.
Das neue Ess-Gerät: Ein «Werkzeug des Teufels»
Im 9. Jahrhundert n. Chr. erklärte die Kirche die Gabel zum «sündigen Werkzeug». Aus verschiedenen illustrierten Enzyklopädien wurden bildliche Darstellungen entfernt, auf denen Mönche zu sehen waren, die sich mit einer Gabel ein Stück Fleisch in den Mund schoben.
Weshalb diese klerikale Zensur? Darüber kann man heute nur spekulieren: Weil Rom damals nicht nur Menschen, sondern auch Dinge exkommunizierte, musste wohl auch die Gabel dran glauben, galt sie doch als typisch byzantinischer Gegenstand.
Um 1100 wurde das einstmals verpönte Essgerät in Italien wieder ein Thema. Über die Gattin des Dogen von Venedig, Orseolo II., ist überliefert: «Sie, die Byzantinerin, rührt keine Speise mit den Fingern an, sondern die Eunuchen müssen ihr die Gerichte in kleine Stücke schneiden, die sie sich dann mit einem zweizinkigen Gäbelchen aus Gold in den Mund schiebt.»
Nur «Jünger des Teufels» essen mit der Gabel
Der Glaubenskrieg um dieses kulinarische Utensil aber ging unvermindert weiter: Damian, Kardinalbischof von Ostia, kündigt an, dass er alle Personen, die statt mit den Fingern mit der Gabel essen, als «Jünger des Teufels» verfolgen werde.
Die byzantinischen Künstler liessen sich von der Hetzkampagne Roms jedoch nicht kleinkriegen. Unbeeindruckt platzierten sie Gabel und Messer weiterhin auf ihre kunstvollen Gemälde, selbst vor Darstellungen des Abendmahls machten sie nicht Halt.
Schliesslich fand die Gabel den Weg auf die Tische der Reichen und Vornehmen doch noch - wenn auch gegen den Willen der Geistlichkeit. Mitte des 16. Jahrhunderts erklärte Heinrich III., König von Polen und Frankreich, dass die Gabel in Frankreich offiziell hoffähig sei.
Hinter dieser Anordnung steckte vermutlich Katharina de Medici, die Mutter Heinrichs III. Sie hatte vor der Heirat mit Heinrich II. die in den Klöstern entstandene italienische Renaissance-Küche nach Frankreich gebracht. In ihrem Gefolge waren 200 Meisterköche, die als die besten der Welt galten. Deren Pasteten, Saucen, Suppen und Eiscremen begründeten die hohe Schule der französischen Kochkunst, die bis heute andauert.
Der Gebrauch der Gabel wurde durch die damals herrschende Mode zusätzlich gefördert: Die Halskrausen waren derart gross geworden, dass es fast unmöglich war, mit der Hand zu speisen, ohne dabei die edlen Gewänder zu bekleckern.
Noch im 17. und 18. Jahrhundert aber war die Gabel vielen immer noch nicht geheuer - und erst recht nicht praktisch. Ein Bauernspruch besagte: «Zwar ist es mit der Gabel eine Ehr, doch mit dem Löffel kriegt man mehr.»
Auch «Sonnenkönig» Ludwig XIV. lehnte es kategorisch ab, sich die feinen Speisen mit der Gabel in den Mund zu führen. Und seine Schwägerin, Liselotte von der Pfalz, berichtet nach Deutschland: «Ich habe mich zeit meines Lebens beim Essen nur meines Messers und meiner fünf Finger bedient.»
Marko Müller