«Die Revolution des Möbelmarktes»
Mit neuen Ideen und Möbeln zu unschlagbaren Preisen hat Ikea vor 32 Jahren den Schweizer Markt aufgemischt. Diverse Nachahmer hinken den Schweden noch immer hinterher.
Inhalt
Haus & Garten 1/2005
05.01.2005
Ulrike Schettler/Reto Westermann
Mit einem Werbespot lüftet Ikea das Geheimnis ihrer «unschlagbar günstigen Preise»: Ein Bettgestell, das eigentlich 400 Franken kosten müsste, so die Message, koste noch 200 Franken, wenn man weltweit den günstigsten Hersteller suche. Und nur noch 120 Franken, wenn man ein paar Millionen Stück produzieren lasse. Beeindruckende Zahlen.
Doch trotz den bahnbrechenden Preisen bleibt bei Ikea das Design nicht auf der Strecke.«Es gibt viele Möbelläden, die gutes Design anbiete...
Mit einem Werbespot lüftet Ikea das Geheimnis ihrer «unschlagbar günstigen Preise»: Ein Bettgestell, das eigentlich 400 Franken kosten müsste, so die Message, koste noch 200 Franken, wenn man weltweit den günstigsten Hersteller suche. Und nur noch 120 Franken, wenn man ein paar Millionen Stück produzieren lasse. Beeindruckende Zahlen.
Doch trotz den bahnbrechenden Preisen bleibt bei Ikea das Design nicht auf der Strecke.«Es gibt viele Möbelläden, die gutes Design anbieten. Viele Menschen können oder wollen es sich aber nicht leisten», sagt Carlos Friedrich, Marketingleiter bei Ikea Schweiz. Und weiter im schönsten Werbeslang: «Wir machen Design demokratisch.»
Fest steht: Die Idee hat sich durchgesetzt - Ikea umfasst heute 202 Filialen in 32 Ländern. Das Sortiment ist weltweit praktisch identisch, so sind Stückzahlen in Millionenhöhe und tiefe Preise überhaupt erst möglich.
Spreitenbach - die erste Ikea ausserhalb Skandinaviens
Die Kosten der Hersteller zu drücken, ist aber nur ein Teil von Ikeas Preispolitik. Sie beginnt schon bei der Gestaltung der Möbel: Ikea lässt ihre Produkte so entwerfen, dass sie möglichst einfach herzustellen und zu transportieren sind.
Vater der «Designmöbel fürs kleine Portemonnaie» ist der Schwede Ingvar Kamprad. 1958 eröffnete er in Älmhult sein erstes Möbelgeschäft. Die Schweiz spielte für die weltweite Verbreitung seiner Idee eine zentrale Rolle: Vor 32 Jahren wurde in Spreitenbach ZH die erste Ikea-Filiale ausserhalb Skandinaviens eröffnet.
Die Expansion in die Schweiz stellte den hiesigen Möbelmarkt auf den Kopf. Traditionelle Möbelhäuser wie Pfister und Märki erhielten erstmals ernsthafte Konkurrenz. Der Erfolg von Ikea rief bald Nachahmer auf den Plan. Ein Jahr nach den Schweden eröffnete die zur Globus-Gruppe gehörige Interio-Kette ihr erstes Geschäft. Heute verfügt Interio über 21 Läden in der Schweiz sowie einige Ableger in Deutschland und Österreich.
Heute gibt es nur noch eine Klasse von Käufern
In den Achtziger- und Neunzigerjahren übernahm eine Reihe weiterer Einrichtungshäuser das Ikea-Konzept mit günstigen Möbeln zum Mitnehmen: 1981 die zur Migros gehörende Micasa (47 Läden), 1985 die Pfister-Tochter Top Tip (heute Coop, 44 Verkaufsstellen), 1997 Avanti (Möbel Pfister, 3 Filialen, Franchising von deutschem Mutterhaus) und 1998 Fly (Manor, 16 Filialen, Franchising von französischem Mutterhaus).
Das Ikea-Prinzip - Möbel mitnehmen und selbst zusammenbauen - spricht alle Käuferschichten an und ist einer der Hauptgründe für den Erfolg. «Früher gab es noch zwei Klassen von Käufern, den typischen Ikea-Kunden und denjenigen, der nur im Fachhandel einkauft», sagt Thomas Oberli, Lehrer an der Fachhochschule für Wohnberatung in Bern. Die heutigen Kunden kaufen nach seiner Beobachtung überall ein. Sie scheuten sich nicht, ein teures Sofa aus dem Designerladen mit einem Ikea-Regal zu kombinieren.
Der Kinderhütedienst zur Ankurbelung des Umsatzes
Mit verantwortlich für Ikeas Erfolg ist aber auch das breite Sortiment: Es umfasst mehr als 10 000 Artikel, von der Design-Linie bis zu den «Country»-Produkten und natürlich den klassischen, skandinavischen Möbeln. Dazu alles, was man sonst noch zum Wohnen braucht oder brauchen könnte: Von Teelichtern über Glühbirnen bis hin zur kompletten Küche. Und ganz wichtig: Bei jedem Besuch kann der Kunde Neues entdecken: 2500 neue Artikel wurden allein dieses Jahr lanciert.
Da kann die Konkurrenz nur beschränkt mithalten: Interio beispielsweise präsentiert Möbel und Accessoires auf rund 4500 Quadratmetern, einem Sechstel der Fläche einer Ikea-Filiale. Und während Ikea es sich leistet, angenehm wenig Möbel auf viel Platz zu präsentieren, drängen sich bei den meisten Konkurrenten die Möbel dicht aneinander. Für Wohnideen - Nischen, die bei Ikea als komplett möblierte und dekorierte Zimmer eingerichtet sind - hat es dort kaum Platz. Bei Fly, Avanti und Interio wird der Vorstellungskraft des Kunden immerhin etwas nachgeholfen: Betten beispielsweise werden mit den passenden Nachttischchen und den dazugehörenden Accessoires gezeigt.
Ebenfalls kaum mithalten kann die Konkurrenz bei der Auswahl der Einrichtungsstile: Interio - dessen Preise deutlich höher sind - hat sich auf Design der modernen, eleganten Art spezialisiert. Avanti und Fly decken zwar vom Trendigen bis zum Nostalgischen alles ab, betont wird aber klar die jugendliche Ausrichtung. Bei Micasa sucht man ein rustikales Landhausmöbel vergebens. Und bei Top Tip dominiert traditionelles, schlichtes Design.
Augenfällig wird der Unterschied zwischen Ikea und ihren Mitstreitern auch bei den vielen Extras. Diese sollen einen Besuch in einem der Möbelhäuser zu einem Einkaufserlebnis machen. Hinter dem Erlebnis steckt ein simples Konzept: «Mit der Verweildauer eines Kunden steigt der Umsatz.» Ein Beispiel: Da ein Aufenthalt im Laden mit quengelnden Kindern nicht allzu lange dauert, werden diese bei Ikea gratis gehütet. Von den Konkurrenten bietet nur Avanti diese Möglichkeit.
Ein weiteres Beispiel: Weil es sich mit leerem Magen schlecht einkauft, gibt es in jeder Ikea-Filiale Essen zum Spottpreis. Der Dauerbrenner: Hotdog für 1 Franken. «Wenn das Essen hier so günstig ist, kann alles andere auch nicht teuer sein», lautet die Hot-Dog-Message. Interio hat zwar auch Café-Ecken eingerichtet, die Preise dort sind aber vergleichsweise hoch. Und bei Top Tip oder Avanti muss sich die Kundschaft mit Kaffeeautomaten begnügen.
Kaum einer merkt, dass der Tisch nicht ewig hält
«Lockvögel», die dem Besucher vermitteln, wie preiswert ein Geschäft generell sei, finden sich auch bei Ikea. So wird beispielsweise «Backe» angeboten, ein Küchentisch mit vier Stühlen, alles zusammen für 99 Franken. Und sollte das Möbel nicht jahrzehntelang halten, wird das einen Grossteil der Kundschaft nicht kümmern. «Das Interieur wird heute viel häufiger gewechselt als früher», sagt Zukunftsforscherin Karin Frick vom Gottlieb Duttweiler Institut in Rüschlikon ZH. Dank Ikea sei das überhaupt möglich geworden. Frick: «Ingvar Kamprads Konzept war die Revolution des Möbelmarktes.»
Umsätze Schweiz 2003
- Ikea: 510 Millionen Franken
- Micasa: 320,9 Mio.
- Interio: 280,8 Mio.
- Top Tip: 262 Mio.
- Fly: 85,3 Mio.
- Avanti: werden nicht veröffentlicht