«Mit der neuen Niere habe ich 20 Kilo zugenommen»
Inhalt
Gesundheitstipp 1/2001
01.01.2001
Yvonne (44) und Steve (37) Aerni über den Alltag mit schwerer Diabetes
Yvonne Aernis Leidensweg ist lang: Die schwere Zuckerkrankheit hat ihre Nieren fast zerstört. Vor drei Jahren erhielt sie endlich ein Spenderorgan. Für sie und ihre Familie begann damit ein neues Leben voller Hoffnung.
Ursula Angst-Vonwiller, redaktion@pulstipp.ch
Yvonne: Am 15. Februar 1997 haben die Ärzte mir eine neue Niere transplantiert und mir damit fast so etwas wie ein ...
Yvonne (44) und Steve (37) Aerni über den Alltag mit schwerer Diabetes
Yvonne Aernis Leidensweg ist lang: Die schwere Zuckerkrankheit hat ihre Nieren fast zerstört. Vor drei Jahren erhielt sie endlich ein Spenderorgan. Für sie und ihre Familie begann damit ein neues Leben voller Hoffnung.
Ursula Angst-Vonwiller, redaktion@pulstipp.ch
Yvonne: Am 15. Februar 1997 haben die Ärzte mir eine neue Niere transplantiert und mir damit fast so etwas wie ein neues Leben geschenkt. Meine eigenen Nieren sind schwer geschädigt als Folge meiner Zuckerkrankheit.
Steve: Das war eine hektische Zeit mit viel Auf und Ab. Sie hat uns als Paar sehr zusammengeschweisst.
Yvonne: Dass du bereit gewesen wärst, eine Niere für mich zu spenden, hat mich riesig beeindruckt.
Steve: Für mich war das selbstverständlich. Nur hat es nicht geklappt. Dein Körper hätte mein Organ abgestossen.
Yvonne: Von einem Tag auf den andern fand sich eine Spenderniere für mich. Ich spüre sie kaum mehr, nur ein leichte Wölbung im Bauch erinnert an sie.
Steve: Du bist immer noch unheimlich empfindlich am Bauch.
Yvonne: Anscheinend ohne Grund. Mein Arzt sagt, die Empfindlichkeit gehe vom Kopf aus, ich hätte Angst um meine Niere.
Steve: Die vielen Medikamente, die du dein Leben lang einnehmen musst, erinnern dich täglich an das fremde Organ.
Yvonne: Leider übernimmt die neue Niere nur 33 statt 50 Prozent der Arbeit. Laut Arzt soll sich die Leistung noch verbessern.
Steve: Aber auch mit 33 Prozent können wir leben.
Yvonne: Schlimmer für mich sind die gesundheitlichen Probleme, die neu dazukommen. Alles Folgen der zu spät erkannten und falsch behandelten Diabetes.
Steve: Im Geschäft habe ich bei jedem Telefonanruf Angst, dass dir wieder etwas fehlt.
Yvonne: Du tust mir manchmal richtig leid.
Steve: Ich habe gelernt, damit zu leben. Für mich ist nach wie vor das Wichtigste, dass du lebst und bei mir bist.
Yvonne: Dabei ist es für dich manchmal wirklich schwierig und langweilig mit mir. Ich kann nicht mehr weit gehen, weil ich schwere Durchblutungsstörungen in den Beinen habe, und meine Füsse dauernd «einschlafen». Ich gerate schnell ausser Atem. Steve: Manchmal mache ich Velotouren oder Wanderungen - allein oder mit unserem Sohn ...
Yvonne: ... falls der nicht lieber gemütlich bei mir bleibt. Er rennt nicht gern so schnell auf die Berge. Wir kommen lieber mit dem Bähnli nach.
Steve: Nur etwas macht mich «hässig»: Nachts um zwei aufzuwachen, wenn du eine schwere Unterzuckerung hast. Trotzdem stehe ich auf und hole Sirup. Und denke daran, dass ich täglich um fünf Uhr aufstehen muss.
Yvonne: Meistens merke ich gar nichts davon.
Steve: Dafür lässt du deine Unzufriedenheit und deine Launen an uns aus.
Yvonne: Ich weiss, dass ihr viel Geduld haben müsst mit mir.
Steve: Das ist kein Problem für mich, solang du durchhältst und den Mut nicht verlierst.
Yvonne: Mein Arzt fürchtet, dass mein Leidensweg wohl noch nicht zu Ende sei.
Steve: Gut, dass wir nicht alles wissen!
Yvonne: Mir hilft mein Glaube immer wieder. Der da oben mutet mir nicht mehr zu, als ich tragen kann.
Steve: Ich selber glaube nur, was ich sehe. Aber ich weiss, wir schaffen das schon.
Yvonne: Vor einem Jahr begannen die Schwierigkeiten mit dem Herzen. Innerhalb von sechs Monaten bin ich dreimal zusammengebrochen. Ich hatte starke Schmerzen auf der Brust.
Steve: Der Arzt hat keine Herzprobleme gefunden. Alle Befunde, auch Belastungs-EKG und Ultraschall waren normal.
Yvonne: Laut dem Herzspezialisten ist es so, dass Herzschmerzen bei Diabetikern vielfach unklar bis kaum spürbar sind. Erst im Spital zeigte eine Herzkatheter-Untersuchung, dass ich schlimme Verkalkungen in den Arterien habe. Am nächsten Tag setzten Ärzte ein «Röhrli» ein, um die Arterien offen zu halten.
Steve: Dein Nitroglycerin-Spray und die Nitrodepot-Tabletten helfen gegen die Atembeschwerden und Schmerzen bei den Angina-Pectoris-Anfällen. Seither hast du auch bei Lachanfällen keine Engegefühle mehr in der Brust.
Yvonne: Das Lachen lasse ich mir nicht nehmen. Ich werde mit meinen Problemen besser fertig als jemand mit Depressionen. Wie es wohl weitergeht? Natürlich besteht die Gefahr, dass mein Gehirn durch Gefässverengungen in Mitleidenschaft gezogen wird. Schon jetzt bin ich manchmal so vergesslich.
Steve: Du übertreibst! Hin und wieder etwas vergessen ist doch normal.
Yvonne: Es ist schon merkwürdig: Die Gesundheit steht immer im Vordergrund. Doch kaum geht es etwas besser, schaue ich wieder in den Spiegel.
Steve: Und du bist unzufrieden mit dir selbst, deinen Haaren, deiner Figur.
Yvonne: Die Entwässerung des Körpers funktioniert nicht richtig. Ich habe seit der Transplantation fast 20 Kilo zugenommen. Das stört mich.
Steve: Ich kann nur immer wiederholen: Das ist alles unwichtig für mich.
Yvonne: Immer wieder staune ich, wie belastbar du bist. Ich kann mich ganz auf dich verlassen. Wie machst du das?
Steve: Ich erhole mich sehr schnell von Anstrengungen. Ich habe irgendwie immer genug Kraft für uns beide.
Yvonne: Als ich mich besser fühlte, versuchte ich, eine 20-Prozent-Teilzeitstelle zu finden. Mehr liegt nicht drin. Ich bin nicht belastbar und brauche zehn bis zwölf Stunden Schlaf pro Tag.
Steve: Das macht es schwierig. Heute brauchts nur voll einsatzfähige Leute.
Yvonne: Somit bin ich draussen. Das tut weh. Hoffentlich bekomme ich jetzt wenigstens eine ganze IV-Rente.
Steve: Zum Glück nimmst du deine Medikamente absolut zuverlässig.
Yvonne: Das geht fast automatisch: zwei Mal pro Tag Tabletten, im Ganzen 17, drei bis vier Mal Insulin.
Steve: Es gibt auch Situationen, wo dir das verleidet und du nicht mehr weiter spritzen und schlucken magst.
Yvonne: Es ist stinklangweilig. Seit über 25 Jahren spritze ich Insulin - ganz altmodisch. Ich ziehe die Spritze selber auf. So kann ich je nach Bedürfnis dosieren.
Steve: Auch da bist du immer noch eigensinnig. Den Bluttest machst du immer an den gleichen zwei Fingern, über zwanzig Jahre lang hast du ins gleiche Bein gespritzt.
Yvonne: Jetzt habe ich auf das linke Bein umgestellt!
Steve: Der Gedanke an unsern Sohn Kevin und an deine beiden andern Söhne macht dich stark.
Yvonne: Und heute ist es die Eifersucht auf eine mögliche Nachfolgerin bei dir. Ich bin einfach immer noch neugierig auf die Zukunft.
Steve: Ich auch!
Yvonne: Die Angst, die Söhne allein zurücklassen zu müssen, spüre ich nicht mehr so stark. Unser Bub Kevin hat sich an unsere Situation gewöhnt. Früher litt er häufig unter Verlustängsten.
Steve: Darum haben wir mit dir ausführlich besprochen, was du im Notfall tun musst und was schlimmstenfalls passieren kann.
Yvonne: Inzwischen ist Kevin ja 10-jährig und hat sich gut von meinem Rockzipfel gelöst.
Steve: Trotzdem ist natürlich der Gedanke immer irgendwo greifbar, dass du einmal nicht mehr da sein könntest. Bei jedem Telefonanruf aus dem Spital denke ich: Kommt sie wohl auch dieses Mal wieder nach Hause?
Yvonne: Du machst wirklich alles, was möglich ist, für mich. Im Moment besuchst du einen Kurs in Reanimation für Herzkranke.
Steve: Das hat dein ältester Sohn im Militär auch gemacht.
Yvonne: Aber bei dir ist es ein Charakterzug. Zu Beginn unserer Partnerschaft hast du durchgehalten, weil du als Mann die Verantwortung für die Familie übernahmst. Heute zieht sich der Charakterzug von Verlässlichkeit, Ruhe und Belastbarkeit durch dein ganzes Wesen.
Steve: Zum Glück kann ich auch gut abschalten und schlafen.
Yvonne: Ich liege ganze Nächte lang schlaflos. Ich grüble und mache mir Sorgen - viel mehr um andere als um mich.
Zuckerkrankheit - Diabetes früh erkennen und behandeln
Es gibt zwei verschiedene Typen von Zuckerkrankheit:
- Typ 1: Betroffen sind junge Menschen, deren Körper kein Insulin produziert. Die Krankheit wird meistens früh entdeckt. Behandeln: Insulin spritzen, Diät.
- Typ 2: Betrifft Erwachsene, deren Körper immer weniger Insulin produziert. Meistens sind auch der Fett- und Eiweiss-Stoffwechsel gestört. Typ-2-Diabetes wird oft erst nach Jahren entdeckt.
Behandeln: In leichteren Fällen genügt eine konsequente, kalorien- und fettarme Diät; sonst Tabletten, evtl. später Insulin spritzen.
- Unterzuckerung äussert sich durch verschiedene Symptome: Hungergefühl, Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Schwitzen, Krämpfe, Zittern, Bewusstlosigkeit.
- Falsch oder verspätet behandelt führt Diabetes zu schlechter Wundheilung, Durchblutungs-Störungen, Nierenversagen, Blindheit, Amputationen.
- Infos: Schweiz. Diabetes-Gesellschaft, Forchstr. 95, 8032 Zürich, Tel. 01 383 13 15