Wer sich unwohl fühlt oder Schmerzen hat, soll sich in einer Amavita-Apotheke untersuchen lassen. Das empfiehlt ein Werbeprospekt. Dort behandelt eine «erfahrene Krankenschwester» in einem separaten Raum, der «Aprioris-Pflegepraxis», Patienten, die an kleinen Wunden, Infektionen, Insektenstichen, Grippe oder anderen Beschwerden leiden. Wenn die Krankenschwester einen Fall nicht selbst beurteilen kann, holt sie telefonisch den Rat eines Arztes einer Medix-Praxis ein. Er schickt falls nötig Rezepte für Medikamente.
Die erste Aprioris-Pflegepraxis ist seit Januar in Adliswil ZH in Betrieb. Noch diesen Monat folgt die zweite Praxis in Lausanne. In einem Jahr will der Medikamentenhändler Galenica, dem die Amavita-Apothekenkette gehört, über den weiteren Ausbau entscheiden.
Mit dem neuen Angebot will Amavita den Hausärzten Konkurrenz machen. Die Idee, in der Apotheke medizinische Beratungen anzubieten, ist nicht neu: Seit vier Jahren können sich Patienten in über 200 Netcare-Apotheken per Video von einem Arzt untersuchen lassen (Gesundheitstipp 9/2012). Zudem gewähren die Krankenkassen Sympany und Swica Rabatte, wenn ihre Versicherten zuerst eine Apotheke aufsuchen statt gleich zum Arzt zu gehen.
Fachleute sind nicht überzeugt vom neuen Angebot. Alex Steinacher, Vorstandsmitglied des Hausärzteverbands, sagt, viele Patienten hätten unklare oder komplexe Beschwerden. Ein Hausarzt könne diese besser beurteilen als eine Krankenschwester. Nur für «ganz einfache Bagatellfälle» sei Aprioris vielleicht eine Lösung, sagt Steinacher.
Dazu kommt: Aprioris ist nicht günstiger als ein Hausarzt. Im Kanton Zürich kostet eine 15-minütige Behandlung beim Hausarzt Fr. 48.40, im Thurgau Fr. 45.15. Diese Kosten kann man über die Krankenkasse abrechnen. Bei Aprioris kostet jede Beratung 58 Franken. Die Krankenkassen zahlen nichts daran.
«Apotheken sind nicht unabhängig»
Erika Ziltener, Präsidentin des Dachverbands der Schweizerischen Patientenstellen, findet Aprioris unnötig: «Es gibt bereits viele Notfallstationen, Permanencen, Ambulatorien und andere Stellen.» Der verstärkte Wettbewerb treibe die Kosten in die Höhe und drücke die Qualität. Zwar seien Notfallstationen oft überfüllt, weil Patienten wegen Bagatellfällen ins Spital gehen. Doch Aprioris könne dieses Problem nicht lösen. Denn an Wochenenden und Abenden, wenn Notfallstationen Hochbetrieb haben, sind die meisten Apotheken geschlossen. Zudem sagt Ziltener: «Apotheken sind nicht unabhängig.» Es bestehe die Gefahr, dass sie vor allem jene Medikamente verschreiben, an denen sie am meisten verdienen.
Galenica entgegnet, Umfragen hätten gezeigt, dass viele Patienten das neue Angebot schätzen würden. Viele Beschwerden seien auch für eine Krankenschwester «klar identifizierbar».
Viele Versicherte wollen laut Galenica ihre Krankenkasse ohnehin nicht in Anspruch nehmen.
Medix-Gründer Felix Huber sagt, wegen des zunehmenden Hausärztemangels sei es wichtig, «kreative Lösungen» zu finden. Für Patienten mit einfachen Beschwerden sei es an vielen Orten schwierig, schnell einen Arzttermin zu bekommen. Die Aprioris-Beratung entlaste die Hausarztpraxen von Bagatellfällen.