Organspende - Zu wenig Organspender, um Leben zu retten
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saldo 19/2000
22.11.2000
Die Schweizer Bevölkerung ist immer weniger bereit, Organe zu spenden. Mögliche Gründe: Skepsis und Vorurteile gegenüber der Transplantationsmedizin.
Frau Schmid sah ihren Sohn zum letzten Mal auf der Intensivstation, beatmet, an Schläuche angeschlossen. "Er lag da, als ob er schlafen würde", erinnert sie sich. "Und doch war er tot, hirntot. Die Ärzte haben mir erklärt, dass das Gehirn meines Sohnes durch den Unfall so schwer verletzt wurde, dass keine Lebenszeichen mehr f...
Die Schweizer Bevölkerung ist immer weniger bereit, Organe zu spenden. Mögliche Gründe: Skepsis und Vorurteile gegenüber der Transplantationsmedizin.
Frau Schmid sah ihren Sohn zum letzten Mal auf der Intensivstation, beatmet, an Schläuche angeschlossen. "Er lag da, als ob er schlafen würde", erinnert sie sich. "Und doch war er tot, hirntot. Die Ärzte haben mir erklärt, dass das Gehirn meines Sohnes durch den Unfall so schwer verletzt wurde, dass keine Lebenszeichen mehr feststellbar waren." Es gab nie eine Überlebenschance. Als Frau Schmid auf eine eventuelle Organspende angesprochen wurde, konnte sie zustimmen, ohne zu zögern. Ihr Sohn hatte erst wenige Monate vor dem Unfall gewünscht, seine Organe nach seinem Tod spenden zu können. "Für mich war es ein unendlicher Trost, den Willen meines Kindes erfüllen zu können."
Die Einwilligung zur Organspende, wie sie Frau Schmid im Sinne ihres Sohnes geben konnte, wird immer mehr zur Ausnahme. Rund drei Viertel der schweizerischen Bevölkerung befürworten zwar die Organspende, aber nur ein Zehntel hat einen Spenderausweis. Ist der Wille des Verstorbenen unklar, wird die Entscheidung für die Angehörigen schwer. Es ist verständlich, dass sie im Moment des schlimmsten Schmerzes überfordert sind - und nein zur Organspende sagen.
Schweizer sind äusserst spendefaul
Letztes Jahr bekamen von 956 Patienten auf den Wartelisten nur 412 ein neues Organ. Laut Statistik ist die Schweiz eines der spendefaulsten Länder der westlichen Welt.
Nur die wenigsten Menschen machen sich rechtzeitig Gedanken über eine mögliche Organspende, und häufig verhindern Angst und Vorurteile eine sachliche Auseinandersetzung. Zweifel an der Diagnose Hirntod, die vor jeder Organentnahme gestellt werden muss, sind möglicherweise ein Grund, weshalb viele Menschen nicht spenden wollen oder die Spende von Organen ihrer Angehörigen verweigern. Gemäss den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften gilt ein Mensch als hirntot, wenn zwei unabhängige Ärzte nach genau festgelegten Kriterien festgestellt haben, dass die Hirnfunktionen vollständig und irreversibel ausgefallen sind.
So exakt der Hirntod auch definiert ist, so skeptisch kann man ihm begegnen. Verständlich, denn die Definition des Hirntodes veränderte unser Bild des Todes grundsätzlich. Der hirntote Mensch hat dank künstlicher Beatmung einen Herzschlag, ist warm, schwitzt, scheidet aus. Also kein Atemstillstand, keine Leichenstarre, keine Totenflecken.
Ungutes Gefühl gegenüber der Hirntoddiagnostik
Hirntot und doch nicht tot? Das macht Angst. Für Dr. Urs Schwarz, Neurologe am Universitätsspital Zürich und Spezialist für Hirntoddiagnostik, ist diese Angst zwar verständlich, aber wissenschaftlich unbegründet. "Die Hirntoddiagnostik ist eine der sichersten Diagnosen der Neurologie, weil wir uns an ganz klare biologische Tatsachen halten können", argumentiert der Neurologe.
Neben der Angst vor einer zu frühen Hirntoddiagnose ist auch die Abneigung verbreitet, die eigenen Organe einem vermeintlich Randständigen, der seine Gesundheit selbst ruiniert hat, zu geben. Menschen aus Randgruppen erscheinen jedoch nur selten auf den Transplantationslisten. Wer auf eine Empfängerliste kommt, muss von einer Sucht geheilt sein. Die meisten Menschen, die ein Spenderorgan benötigen, haben eine Krankheit, für die sie nicht selbst verantwortlich sind.
Auch der Einwand, mit gespendeten Organen würden irgendwelche Leute viel Geld verdienen, ist nicht haltbar. Der Handel mit Organen ist in der Schweiz gesetzlich verboten. Auch die Spende muss freiwillig und ohne Anspruch auf Entschädigung sein. Schliesslich kann eine Spende auch aus ethischen Gründen abgelehnt werden.
Jeder sollte sich mit dem Tod auseinandersetzen
Der Intensivmediziner Dr. Reto Stocker akzeptiert eine Ablehnung der Organspende selbstverständlich. "Es wäre unethisch und falsch, die Hinterbliebenen zur Freigabe der Organe zu überreden." Stocker möchte aber Vorurteile beseitigen, beispielsweise die Annahme, ein verunfallter Mensch mit einem Spenderausweis werde weniger gut behandelt, weil man seine Organe brauche. "Das ist völlig ausgeschlossen. Im Spital gibt es eine strenge Trennung zwischen behandelnden Ärzten und dem Transplantationsteam", so Stocker. "Transplantationsärzte werden nicht informiert, wer auf der Unfallabteilung liegt."
Prof. Pierre-Alain Clavien, Chefarzt der Transplantationschirurgie am Unispital Zürich, hielte es für sinnvoll, wenn die Bereitschaft oder Ablehnung zur Organspende im Fahrausweis vermerkt sein müsste. Dies würde jeden zwingen, sich darüber Gedanken zu machen. Wie sich ein solches Vorgehen auf die tatsächliche Spenderzahl auswirken würde, ist allerdings unklar.
Urs Sloksnath
Organspende
Tipps
° Informationsbroschüren und Organspenderausweise können bei der Stiftung Swisstransplant bestellt werden: Telefon 157 02 34 (Fr. 0.36/Min.). Auch in Patientenverfügungen kann vermerkt werden, ob eine Organspende in Frage kommt.
° Organspender kann man bis zum Alter von zirka 70 Jahren sein. Der potenzielle Spender ist in keinem Register verzeichnet.
° Einen Organspenderausweis sollte man auf sich tragen und die Familie informieren.
Links
° Informationen der Stiftung Swisstransplant unter der Adresse www.swiss transplant.org
° Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Medizinischethische Richtlinien für die Organtransplantation unter www.samw.ch/ d/pdf/Organtransplantatio nen.pdf
° Medizinischethische Richtlinien zur Definition und Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantationen: www. samw.ch/d/pdf/DefHirntod.pdf