Die 14- bis 16-jährigen Schülerinnen und Schüler der Oberstufenklasse Sek B 2 b des Schulhauses Hohfurri in Winterthur erzählen im Unterricht, welche Medien sie nutzen. Dass die Winterthurer Klasse das Thema diskutiert, geht auf eine Initiative der Swisscom zurück. Das Unternehmen bietet seit April 2011 Medienkurse für Schüler der Oberstufe an. Themen sind «neue Medien», «Recht im Internet», «soziale Netzwerke» oder «sicheres Surfen». Ein Modul dauert eine Stunde. Der Unkostenbeitrag, den die Schule der Swisscom zahlt, beträgt 200 Franken.
Björn Randegger ist Lehrer der Klasse Sek B 2 b. Er begrüsst das Angebot: «Die Themen sind sehr aktuell. So sind zum Beispiel fast alle Schüler auf Facebook. Doch viele Eltern und auch ich selber kennen das Netzwerk nicht. Da ist uns ein Experte sehr willkommen.» Bedenken, dass die Swisscom die Stunde für Werbung nutzt, hat er keine: «Viele Schüler haben nicht einmal bemerkt, dass eine Firma hinter dem Angebot steht.»
Swisscom möchte «Medienkompetenz vermitteln»
Tatsächlich ist der Auftritt der Swisscom im Unterricht diskret. Der Kursleiter wird zwar als Vertreter der Swisscom vorgestellt, danach tritt das Unternehmen aber nicht mehr in Erscheinung. Die Arbeitsblätter sind neutral, enthalten vor allem Fakten, etwa zum Thema Internetsucht, oder kleine Tests. Nur ein Link verweist auf eine Swisscom-Website über Jugendmedienschutz. Swisscom-Sprecherin Annina Merk: «Wir möchten Medienkompetenz vermitteln. Uns geht es nicht darum, Produkte zu verkaufen oder Werbung zu machen.» Die Swisscom lässt sich das Engagement jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag kosten.
Ein ähnliches Angebot haben Post und Postfinance. Lehrkräfte können Unterrichtsmaterial zu den Themen Service public, Geld oder Schulden kostenlos beziehen. Post-Sprecher Mariano Masserini versichert ebenfalls, es gehe nicht um Produktewerbung, sondern um hochwertige Lehrmittel zur Steigerung der Finanzkompetenz. Beim Lehrmittel «Budgetiert – kapiert» für die Oberstufe erfolgt der Einstieg über ein Lied von Rapper Bligg, danach können die Schüler feststellen, welcher «Geldtyp» sie sind, und lernen, wie ein Budget entsteht. Auf den Unterlagen steht das Logo der Post. Zudem gibt es Links auf die Post-Website.
Es fällt auf: Swisscom und die Post holen die Schüler auf spielerische Weise ab. Das kommt gut an. Von den Schülern gibt es viel Lob. Auch die Swisscom freut sich darüber, dass «100 Prozent der Lehrkräfte angeben, dass sie den Kurs weiterempfehlen würden». Im Gespräch zeigt sich: Viele Lehrer sind gar überzeugt, dass die Unternehmen Lücken im Unterrichtsplan füllen.
«Lehrpersonen müssen Übergriffe erkennen und verhindern»
Doch darf man Themen wie «Medienkompetenz» und «Umgang mit Geld» privaten Unternehmen überlassen? «Nur unter bestimmten Bedingungen», sagt Beat W. Zemp, Präsident des Dachverbands Schweizer Lehrerinnen und Lehrer. Das an der Schule eingesetzte Personal müsse pädagogisch geschult sein und der Einsatz sei genau abzusprechen. Die Lehrpersonen selbst seien so zu schulen, dass sie mögliche Übergriffe erkennen und verhindern. «Lehrmittel und Unterrichtseinheiten müssen fachlich korrekt sein. Sie haben die wichtigsten kontroversen Standpunkte fair abzubilden und dürfen keine Produktewerbung enthalten.»
Diesem Wunsch entsprechen nicht alle Anbieter. Die Firma Kik AG bietet auf der Internetplattform Kiknet gratis Unterrichtslektionen an, die alle von Unternehmen oder Organisationen gesponsert sind. Für ein Paket zahlt eine Firma laut Kiknet-Sprecherin Daniela von Bergen Tomic rund 9500 Franken pro Jahr. Das Material sei werbefrei: «Es werden keine Logos platziert oder Produkte abgebildet, wenn kein zwingender Zusammenhang besteht. Ausnahmen werden nur gemacht, wenn es darum geht, Produkte als Beispiel aufzuführen oder Hinweise zu machen, wo weitere Informationen erhältlich sind.»
Ein Blick in die Lektionen zeigt jedoch, dass dies sehr grosszügig gehandhabt wird. So gibt es das Paket «Projekt Fotobuch». Dabei lernen die Schüler, mit Hilfe der Software Ifolor Designer ein Fotobuch zusammenzustellen, das dann bei Ifolor gedruckt wird. Werbung pur für das Unternehmen. Auch die von Coop gesponserte Einheit zum Thema Nachhaltigkeit bringt den Schülern das Coop-Naturaplan-Label näher und zeigt zahlreiche Coop-Bio-Produkte. Weiter auf der Sponsorenliste finden sich etwa die FDP zum Thema Politik, die Axpo zum Thema Energie oder die UBS zum Thema Geld.
«Werbung in der Schule wirkt stärker als auf anderen Plattformen»
Die gesetzlichen Richtlinien zu Sponsoring an Schulen sind in den Kantonen uneinheitlich. In Zürich heisst es im Volksschulgesetz: «Die Unterstützung der Schulen durch Dritte ist zulässig, soweit diese keinen Einfluss auf den Schulbetrieb nehmen können.» Und in der Finanzverordnung steht: «Dritte dürfen in der Schule nicht unangemessen für sich oder das von ihnen betriebene Geschäft werben.»
Marlies Stopper ist Dozentin für Schulrecht an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Sie ist der Meinung, dass die gesetzlichen Grundlagen im Kanton Zürich genügen. Oft würden Schulen und Lehrpersonen diese aber nicht kennen und sich zu wenig bewusst sein, «dass Werbung in der Schule generell stärker auf Kinder und Familien wirkt als Werbung auf anderen Plattformen». Dort, wo es Gesetzesrichtlinien gibt, können sich Eltern bei einem Verstoss an die Schulleitung oder die Schulpflege wenden. Doch in vielen Kantonen, etwa in Graubünden, Bern oder im Aargau bestehen keine Vorgaben. Den Unternehmen stehen Tür und Tor weit offen.