Stärkungsmittel - Bewegung nützt mehr als Vitamin-Cocktails
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Gesundheitstipp 4/2001
01.04.2001
Eine ausgewogene Ernährung ersetzt teure Aufbaupräparate
Schweizer konsumieren jedes Jahr für 37 Millionen Franken Aufbaupräparate. Doch Ärzte halten wenig von solchen Mitteln: Der Nutzen sei fraglich und der Preis hoch. Es geht auch ohne die teuren Produkte.
Esther Diener-Morscher redaktion@pulstipp.ch
Drei Mal täglich vor dem Essen ein Löffel Bio-Strath: Darauf schwören die 58-jährige Verena Knoblauch und ihre Familie schon seit Jahren. «B...
Eine ausgewogene Ernährung ersetzt teure Aufbaupräparate
Schweizer konsumieren jedes Jahr für 37 Millionen Franken Aufbaupräparate. Doch Ärzte halten wenig von solchen Mitteln: Der Nutzen sei fraglich und der Preis hoch. Es geht auch ohne die teuren Produkte.
Esther Diener-Morscher redaktion@pulstipp.ch
Drei Mal täglich vor dem Essen ein Löffel Bio-Strath: Darauf schwören die 58-jährige Verena Knoblauch und ihre Familie schon seit Jahren. «Bereits als Kind liebte ich den Saft. Er schmeckt nämlich viel besser als der scheussliche Lebertran», erinnert sie sich. Verena Knoblauch ist überzeugt: «In den sonnenarmen Monaten schützt uns das Aufbaumittel vor Krankheiten.» Die Familie sei so gut wie nie krank. Das schreibe sie unter anderem diesem Saft zu. «Ich kann mich auch besser konzentrieren und erinnern.»
Stärkungsmittel aus der Apotheke oder der Drogerie sind beliebt: 37 Millionen Franken geben Schweizer und Schweizerinnen jedes Jahr dafür aus. Laut Herstellern sollen die Mittel gegen Erschöpfung wirken, die Abwehrkräfte stärken, körperlich und geistig fit machen, das Gedächtnis stärken und allerlei Altersgebrechen vorbeugen.
Fachleute zweifeln den Nutzen allerdings stark an: «Es gibt fast keine wissenschaftlichen Studien, welche die angepriesene Wirkung solcher Mittel belegen», sagt der Arzneimittel-Spezialist Thomas Koch, Internist am Spital Schwyz. Er kommt zum Schluss, dass die Mittel nichts anderes als eine «teure Placebo-Therapie» sind. Also eine Therapie, die nur wirkt, weil die Betroffenen daran glauben.
Die Hersteller von Bio-Strath, Biovital, Geriavit, Ginsana, Supradyn und Tonikum D bestreiten das. Sie machen vor allem geltend, dass zumindest die einzelnen Substanzen in ihren Mitteln gut untersucht seien. Die meisten Stärkungsmittel sind rezeptfrei in Drogerien und Apotheken erhältlich. Doch die wenigsten von ihnen enthalten nur einen Wirkstoff. In der Regel sind sie eine Mischung von Pflanzenextrakten, Vitaminen, Mineralstoffen und Aminosäuren.
Lebensweise verändern bringt oft mehr
«Einen solchen Cocktail würde ich in meiner Praxis nie abgeben», sagt Puls-Tipp-Arzt Thomas Walser. «Niemand weiss, was solche Mischungen im Körper bewirken.» Er rät: Menschen, die sich erschöpft fühlen, sollten zu ihrem Hausarzt gehen. Er kann gezielt eine Therapie empfehlen. Walser betont ausserdem: «Oft helfen Änderungen im Alltag viel mehr als Medikamente. Viele Menschen fühlen sich antriebslos, weil sie zu wenig Bewegung, Freizeit oder Zuwendung haben.»
Mit einer abwechslungsreichen, ausgewogenen Ernährung nimmt der Mensch zudem genug Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren und Spurenelemente auf. «Es gibt keine Hinweise dafür, dass mehr davon einen gesundheitlichen Vorteil oder bessere Hirnfunktionen bringen», sagt Thomas Koch.
Viele Stärkungsmittel enthalten den Pflanzenextrakt Ginseng. Auch dessen Nutzen ist wissenschaftlich wenig untermauert. Es gibt zwar Studien, die belegen, dass Ginseng als Einzelstoff bei gesunden Menschen die körperliche Leistungsfähigkeit verbessern kann. Auch bei Diabeteskranken zeigt Ginseng in wissenschaftlichen Untersuchungen eine günstige Wirkung. Es gibt ausserdem Hinweise, dass Ginseng möglicherweise krebshemmend sein kann. Andererseits gibt es aber auch andere Studien, die zeigen, dass die Pflanze wenig oder gar nicht wirkt.
Besser belegt ist die Wirkung von anderen Pflanzen-Wirkstoffen wie Johanniskraut, Weissdorn oder Chinarinde. «Es macht allerdings wenig Sinn, solche Substanzen zu einem allgemeinen Stärkungstrank zu mischen», sagt Walser. Wirkungsvoller und billiger sei es, solche Pflanzen einzeln und gezielt einzusetzen.
Weil klinische Studien für Stärkungsmittel fehlen, weiss niemand, welche Menge überhaupt zuträglich ist und wie lange sie eingenommen werden sollen. Thomas Koch vermutet zwar, dass die Mittel «selten Nebenwirkungen verursachen». Von Ginseng und anderen Pflanzenextrakten sind jedoch einige Fälle bekannt: Sie können unter Narkose zu höherem Blutdruck führen und die Blutgerinnung hemmen. Manche Pflanzen können auch allergische Reaktionen auslösen.
Trotz fraglicher Wirkung sind die teuren Mittel sehr beliebt. «Es ist eben verlockend zu glauben, mit einer Kapsel oder einem Löffel Sirup am Morgen bleibe man den ganzen Tag vital und leistungsfähig», meint Thomas Koch.
Wer genug an die kräftigende Wirkung seines Mittels glaubt, kann sich durchaus etwas leistungsfähiger fühlen. Im Vergleich zu dieser bescheidenen Wirkung sind die Preise für die Säfte und Pillen aber sehr hoch. Thomas Koch bezeichnet sie schlicht als «unverschämt» und bedauert: «Die Hersteller profitieren davon, dass die Käufer dieser Mittel meistens nicht das Hintergrundwissen haben, um einen Medikamentenpreis einschätzen zu können.»
Natürliche Fitmacher
- Einzelne Pflanzen-Wirkstoffe nützen gezielter als ein Mix verschiedener Substanzen. Etwa Weissdorn nach einer Krankheit, Johanniskraut gegen depressive Verstimmungen, Sonnenhut (Echinacea) für mehr Widerstandskraft.
- Essen Sie viele Früchte und Gemüse, jedoch wenig tierisches Fett. So erhält Ihr Körper genügend Vitamine und Mineralstoffe.
- Vorsicht mit Stärkungsmitteln bei Kindern! Solche Präparate können eine ausgewogene Ernährung nicht ersetzen.
- Buchtipp: Sich jeden Tag ein paar Minuten bewegen ist das beste Rezept gegen Stress und Erschöpfung. Wer sich fit hält, ist leistungsfähiger und weniger anfällig für Krankheiten - vom Schnupfen bis zum Herzleiden. Im neuen Puls-Tipp-Dossier «Fit im Alltag» finden Sie viele Übungen und Tipps, um Ihren Alltag bewegter zu gestalten.