Sie betreuen als Nachtwache zu zweit rund 80 Bewohner. Ist das nicht ein Albtraum?
Nein. Aber es ist eine Herausforderung. Die eine Hälfte der Bewohner schläft in der Nacht, die andere ist wach. Trotzdem ist es für mich ein Traumjob.
Warum?
Ich mag die Verantwortung. Wir handeln sehr selbständig – auch in Krisensituationen.
Welche Krisen gibt es nachts?
Manche stürzen auf dem Weg zur Toilette, haben Angst oder fühlen sich alleine. Es ist auch schon vorgekommen, dass Bewohner versucht haben, das Alterszentrum zu verlassen, weil sie nach Hause wollten.
Was tun Sie dann?
Wenn die Person noch im Haus ist, begleiten wir sie zurück auf ihr Zimmer. Bei manchen Bewohnern ist der Teppich vor dem Bett oder die Tür mit einem Sensor ausgestattet. So merken wir, wenn sie aufstehen oder nach draussen wollen.
Welche Bedürfnisse haben die Bewohner nachts?
Viele demente Bewohner können nicht schlafen. Sie wissen nicht, wo sie sind und spüren, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Ich versuche sie zu beruhigen, sitze beim Bett, rede mit ihnen. Bei manchen helfen Orangenblütentee oder Baldriantropfen. Andere haben Hunger, dann gebe ich ihnen etwas zu essen. Im Idealfall schlafen sie bald ein.
Haben Sie so viel Zeit für die einzelnen Bewohner?
Nicht immer. Manchmal läuten vier, fünf Bewohner gleichzeitig und ich muss eine Person vertrösten.
Wie gehen Sie mit solchen Situationen um?
Es ist hart, jemanden einfach so in seinem Bett liegen zu lassen. Aber manchmal geht es schlicht nicht anders. Es gibt Nächte, in denen ich den Bewohnerinnen und Bewohnern nicht gerecht werden kann, weil einfach zu viel läuft. Ich versuche dann, mich an jene Nächte zu erinnern, in denen ich genug Zeit hatte für alle. Das gibt mir Kraft.
Was tun Sie, wenn Sie merken, dass jemand im Sterben liegt?
Wir bemühen uns, dass immer eine von uns Nachtwachen bei der Person ist. Meist beruhigt sich die Person, wenn ich bei ihr sitze. Wenn sie Schmerzen hat, gebe ich ihr ein Mittel. Dann informiere ich die Verwandtschaft, damit die Angehörigen Abschied nehmen können.
Wie gehen Sie mit dem Tod um?
Er fordert mich heraus, denn man gewöhnt sich nie daran. Auch wenn ich schon viele Leute sterben gesehen habe. Einmal, als Praktikantin, war ich bei einem sterbenden Mann im Zimmer. Er starrte in eine Ecke und schrie: «Jetzt holen sie mich!» Kurz darauf starb er. Das ist mir durch Mark und Bein gefahren.
Wie haben Sie das verarbeitet?
Ich habe in der Bibel gelesen und viel mit einer Kollegin diskutiert. Der Glaube, dass noch etwas kommt nach dem Tod, hilft mir, solche Situationen zu akzeptieren.
Zur Person: Claudia Schneider
Claudia Schneider (39) ist diplomierte Pflegefachfrau HF und arbeitet in einem 30-Prozent-Pensum als Nachtwache im Alterszentrum Herti in Zug. Ihre Schicht dauert von 22 bis 7 Uhr. Sie wohnt mit ihrem Mann und vier Kindern in Besenbüren AG.