Fast jeden Morgen stellt Erika Rusterholz um fünf ihren Computer an. Die 78-Jährige aus Neerach im Zürcher Unterland schreibt in Brustkrebsforen, beantwortet Fragen von Ratsuchenden und aktualisiert ihre Website Brustkrebsverlauf.info. Immer wieder setzt sie sich tagsüber an den Computer. Erst nach 10 Uhr nachts stellt sie ihn wieder ab: Der Brustkrebs hat ihr eine neue Lebensaufgabe gegeben.
Nach der Operation fühlte sie sich total verunstaltet
Vor zehn Jahren bekam sie den Krebs. Die Diagnose habe sie noch recht gefasst weggesteckt, erzählt die ehemalige Buchhalterin und Reiseleiterin. Die Ärzte mussten ihr einen grossen Teil beider Brüste wegoperieren. «Auch das habe ich stoisch über mich ergehen lassen.»
Erst nach der Operation sei sie «ins tiefste Loch» gefallen: Sie, die sich ein Leben lang Mühe gegeben hatte, gut auszusehen, empfand sich nun als verunstaltet. «Ich konnte nichts anderes mehr denken als: Der Arzt hat mir viel zu viel rausgeschnitten.»
Krebs ist eine brutale Erfahrung. Von einem Moment zum anderen ist der Entwurf fürs eigene Leben in Frage gestellt. Erika Rusterholz sagt: «Ich hatte Angst vor dem Tod.»
Doch eine neue Studie an 700 Brustkrebs-Patientinnen zeigt: Viele wachsen auch an der Erfahrung. Die Forscher der amerikanischen Wake-Forest-Universität befragten die Frauen in den zwei Jahren nach der Diagnose mehrmals. Es zeigte sich: Je mehr Zeit verstrich, desto positiver fielen die Antworten der Patientinnen aus. Viele stellten etwa fest, dass sie stärker waren als gedacht, sie entwickelten neue Interessen, oder sie schätzten das Leben mehr als vor der Krankheit.
Rusterholz begann, sich intensiv über ihre Krankheit zu informieren
Das bestätigt Christine Szinnai, Oberärztin für Psychosomatik an der Klinik Schützen in Rheinfelden AG. Krebs könne auch dazu führen, dass sich die Lebensperspektive verändere: «Oft gelingt es den Betroffenen besser, die eigenen Werte und Ziele zu erkennen.»
Erika Rusterholz erinnert sich noch genau an den Moment, als sie aus der Krise herausfand. «Plötzlich merkte ich: Wenn ich jetzt nichts ändere, fange ich an zu spinnen.» Da begann sie, sich intensiv über ihre Krankheit zu informieren. Die zündende Idee kam von ihrem Mann: Er ermunterte sie, eine eigene Homepage zu machen.
Heute ist ihr Leben ein anderes als vor der Krankheit. Als wäre sie zwanzig Jahre jünger, besucht sie Fachvorträge, informiert sich über die neuesten Therapien, hat einen Internetverein gegründet mit dem Zweck, Frauen mit Brustkrebs zu beraten. «Ich habe so viel zu tun, da vernachlässige ich oft den Haushalt», lacht die zierliche Frau. «Das wäre mir früher nie passiert.» Seit sie Brustimplantate trägt, gefällt ihr auch ihr Köper wieder.
Corinne Urech ist Psycho-Onkologin am Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel. Ein solches persönliches Wachstum sei keine Seltenheit bei Krebspatienten, sagt sie. Manche merkten schon ein paar Wochen nach der Diagnose, dass diese Krankheit auch positive Seiten habe – «etwa, dass durch die vielen intensiven Gespräche ihre Familie wieder enger zusammengerückt ist».
Auch Esther Gwerder aus Muotathal im Kanton Schwyz sagt, sie sei heute ein anderer Mensch als vor dem Krebs. Sie sei zufriedener und dankbarer – «und ich habe gemerkt, was mir wichtig ist». Etwa die Familie: «Ich bin Vollzeitmami und geniesse das sehr.»
Früher war sie oft unterwegs und traf sich mit Leuten. Heute sagt sie: «Immer wollte ich noch dies und das, es hörte gar nie auf.» Heute ist sie weniger unterwegs. Ein paar gute Freundinnen aus der Schulzeit trifft sie regelmässig. Aber sie geniesst es auch, zu Hause zu sein oder in der nahen Umgebung. «Heute sage ich oft: Hej, ist das schön hier. Das konnte ich früher nie.»
Besuch bei einer Psychologin als mentale Unterstützung
Um den Krebs mental zu bewältigen, half es ihr, über die Krankheit zu sprechen. Dazu ging sie regelmässig zu einer Psychologin. «Ich war auch froh, wenn mich Freunde oder Bekannte auf die Krankheit ansprachen.» Heute sagt sie: «Es war die schwierigste Zeit meines Lebens. Aber sie hat mir auch zu einer neuen Einstellung zum Leben verholfen.»
Laut Corinne Urech gibt es verschiedene Strategien, um mit Krebs umzugehen. Wichtig sei es, die Krankheit realistisch zu betrachten, sie nicht zu verdrängen oder zu beschönigen. Die Betroffenen sollten sich mit dem Krebs auseinandersetzen.
Inseln schaffen und nicht immer an die Krankeit denken
Allerdings nicht andauernd: «Wer nur noch an den Krebs denkt, tut sich keinen Gefallen», so Urech. Besser sei es, sich zu bestimmten Zeiten gezielt mit der Krankheit zu befassen. Gleichzeitig sollten sich Betroffene auch klar werden, was ihnen gut tut und sie die Krankheit auch einmal vergessen lässt. Mit solchen Dingen sollten sie sich verwöhnen. «Das kann zum Beispiel ein Spaziergang in der Natur sein, ein Mittagessen mit dem Partner oder schon nur, sich wieder einmal die Nägel zu lackieren.»
Auch Esther Gwerder erhielt den Tipp, sich zu verwöhnen – und wusste bald, wie: Sie liebt Steine und Mineralien. «Nach der Chemotherapie habe ich mir deshalb jedesmal einen schönen Stein gekauft.»
Tipps: Mit Krebs umgehen - Das hilft
Krebs betrifft nicht nur den Körper, sondern auch die Seele. Diese Strategien können helfen, die Krankheit mental zu bewältigen:
- Informieren Sie sich beim Arzt über den Krebs. Das baut Ängste ab.
- Machen Sie sich bewusst, dass das Leben hier und jetzt lebenswert ist, trotz der Krankheit. Zukunft und Vergangenheit sind dabei unwichtig. Meditation kann dabei helfen.
- Grübeln Sie nicht, ob Sie oder Ihr Umfeld am Krebs schuld sind. Darauf gibt es keine Antwort.
- Bitten Sie Familie, Freunde und Nachbarn um praktische Hilfe – etwa beim Kochen, Einkaufen oder Kinderhüten.
- Machen Sie eine Liste mit kleinen Freuden. Bauen Sie diese immer wieder in Ihren Tag ein.
- Erinnern Sie sich an schwierige Situationen, die Sie erfolgreich gemeistert haben. Das gibt Kraft.
- Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen aus. Kontakte vermittelt die Stiftung Selbsthilfe Schweiz, www.selbsthilfeschweiz.ch, Tel. 061 333 86 01
- Nehmen Sie wenn nötig die Hilfe eines Psychologen oder eines Seelsorgers in Anspruch.
Ärztetelefon: Ihre Fragen zu Brustkrebs - Expertinnen geben Auskunft
Drei Ärztinnen des Brustzentrums Zürich beantworten Ihre Fragen rund um das Thema Brustkrebs am Beratungstelefon.
- Montag, 3. Februar, 16 bis 18 Uhr
Tel. 044 253 90 30 (Lokaltarif)
- Dienstag, 4. Februar, 16 bis 18 Uhr
Tel. 044 253 90 30 (Lokaltarif)