Neue Schlafmittel: Auch sie machen abhängig
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Gesundheitstipp 9/2000
01.09.2000
Stilnox, Sonata und Imovane: Patienten sollten sie nur kurzfristig nehmen
Neue Schlafmittel versprechen einen gesunden Schlaf ohne Abhängigkeit. Viele Ärzte und Patienten vertrauen darauf. Doch Apotheker warnen: Auch von den neuen Mitteln kommen die Leute oft nicht mehr los.
Wer sich ins Bett legt, möchte gerne rasch einschlafen. Und am Morgen erholt erwachen. Genau das verspricht Sonata, das neue Schlafmittel der Firma Wyeth. Auch Gedächtnisstörungen oder beei...
Stilnox, Sonata und Imovane: Patienten sollten sie nur kurzfristig nehmen
Neue Schlafmittel versprechen einen gesunden Schlaf ohne Abhängigkeit. Viele Ärzte und Patienten vertrauen darauf. Doch Apotheker warnen: Auch von den neuen Mitteln kommen die Leute oft nicht mehr los.
Wer sich ins Bett legt, möchte gerne rasch einschlafen. Und am Morgen erholt erwachen. Genau das verspricht Sonata, das neue Schlafmittel der Firma Wyeth. Auch Gedächtnisstörungen oder beeinträchtigtes Reaktionsvermögen träten am nächsten Tag nicht auf.
Mit einer ähnlichen Werbebotschaft preist die Firma Sanofi-Synthelabo ihr Schlafmittel Stilnox, das Konkurrenzprodukt von Sonata, den Ärzten an. «Long enough, short enough» soll Stilnox wirken: lange genug, um den Schlafbedarf abzudecken, und kurz genug, damit man den Tag aktiv und frisch beginnt.
Stilnox, Sonata sowie dem nicht so verbreiteten Imovane ist gemeinsam, dass es sich chemisch nicht um Benzodiazepine handelt. Das ist wesentlich, um die Produkte zu vermarkten.
Denn Benzodiazepine (zum Beispiel Rohypnol, Halcion, Seresta, Dormicum) sind bei den Ärzten nicht mehr so beliebt. Seit den frühen Achtzigerjahren ist anerkannt, dass diese Schlafmittel körperlich abhängig machen können, wenn man sie ständig nimmt. Bereits 1960 äusserten Pharmakologen diesen Verdacht, aber erst 20 Jahre später bestritten auch die Hersteller die Zusammenhänge nicht mehr.
Auch von Stilnox behaupten Inserate in Ärztezeitungen zehn Jahre nach der Markteinführung immer noch, dass das Mittel zu «keiner physischen Abhängigkeit» führe. Innert weniger Jahre stieg denn auch der Umsatz von Stilnox, sodass es heute zu den am häufigsten verordneten Schlafmitteln gehört.
Die Werbung steht allerdings in krassem Widerspruch zur Fachinformation, die sich an die Ärzte richtet und von der Interkantonalen Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) genehmigt ist. Die Fachinformation weist nämlich ausdrücklich auf die Problematik des Schlafmittels hin: «Die Einnahme von Hypnotika kann zu einer Abhängigkeit führen. Das Risiko vergrössert sich bei längerer Einnahme, hoher Dosierung und/oder bei entsprechend veranlagten Patienten.»
Der Hinweis ist berechtigt:
- Das deutsche «Arznei-Telegramm», ein kritisches Medikamenten-Fachblatt, publizierte bereits 1996 Fälle von Stilnox-Abhängigen und warnte vor dem Problem.
- Eine Erhebung der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) gibt ihnen Recht: Sie stellte fest, dass Konsumenten Stilnox vergleichbar einsetzen wie Benzodiazepine. Die Daten des SFA zeigen, dass die Leute das Schlafmittel häufig über lange Zeit einnehmen.
- Eine Stichprobe der Klybeck-Apotheke in Basel zeigt: 25 von 46 Kunden, die Stilnox oder Sonata verschrieben bekamen, haben im letzten Halbjahr (180 Tage) 60 und mehr Tagesdosen verlangt. 4 kauften 120 Tagesdosen, jemand gar 170. Dies, obwohl es in der Fachinformation unmissverständlich heisst, dass Stilnox nicht länger als 4 Wochen verwendet werden soll.
- Andere Apothekerinnen und Apotheker haben Ähnliches beobachtet. «Die Konsumenten nehmen Stilnox häufig längerfristig», sagt etwa Katharina Holenweg von der Zürcher Rigi-Apotheke. Claudia Gutzwiller von der Basler Breite-Apotheke meint gar: «Bei Stilnox kann man tendenziell feststellen, dass die Leute eher häufiger überdosieren als bei herkömmlichen Benzodiazepinen.» Bei Sonata sei das Problem der Abhängigkeit möglicherweise kleiner.
Die IKS hat für Stilnox die nötigen Schritte veranlasst. «Die Firma muss für die Fachwerbung künftig "keine physische Abhängigkeit" durch "geringes Abhängigkeitspotenzial" ersetzen», sagt Sylvia Schüpbach vom Rechtsdienst der IKS.
Mit Sonata hat man noch wenig Erfahrungen, weil es erst seit kurzem auf dem Markt ist. Die unabhängigen Medikamenten-Spezialisten des deutschen «Arznei-Telegramms» waren bei der Einführung in Deutschland vor einem Jahr aber kritisch. Ihr Fazit: «Wir sehen in der Pseudoinnovation keinen Fortschritt.» Vorteile in der Verträglichkeit liessen sich nicht erkennen.
Markus Fritz, Anita Baumgartner